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Alan Bennett "Die souveräne Leserin"


Dieses Büchlein hat mich auch beim zweiten und dritten Lesen verzaubert. Im Vergleich zu "Die Buchhandlung" (siehe Buchkritik vom 02.06.2018) eine Geschichte, die ihrem Titel alle Ehre macht - zwischen diesen schönen Buchdeckeln steckt ganz viel Lesen und ganz viiiel Literatur :-)!

 

Zum Inhalt: Welch Unerhörtheit aber auch! Die Queen liest! Jeder um sie herum (bis auf ihren Gatten, den Herzog) ist empört - angefangen von ihrem Privatsekretär Sir Kevin, dann die Pagen und schließlich die Hofdamen, ja der ganze Hof. Die Untertanen müssen nun vor ihren Begegnungen mit der Queen weniger auf Smalltalk denn mehr auf literarische Fragen der Königin vorbereitet werden. Und selbst der Premier soll von ihrer neuen Leseleidenschaft angesteckt werden, der den wöchentlichen Treffen deswegen mehr und mehr genervt entgegensieht. Die Familie wiederum reagiert gelassen, weil Ihre Majestät durch das Lesen weicher und nachsichtiger im Umgang geworden ist. 

 

Die Queen aber - ganz "Souverän" (großgeschrieben!) - lässt sich durch keine Einfälle des Hofes von ihrer neuen Leidenschaft abschrecken - der Büchereibus fährt den Palast nicht mehr an, Norman, ihr eigens bestellter literarischer Assistent, wird zum Studium zwangsversetzt. Sie entwickelt sich in diesem schmalen, nur 115 Seiten umfassenden Band von einer unsicheren, unerfahrenen Leserin, die sich ihr erstes Buch nur aus Verlegenheit aus dem Büchereibus ausleiht - zu einer immer souveräner agierenden Kennerin der verschiedenartigsten und zum Teil auch ominös-zwielichtigen Literatur. Von der passiven Leserin wird sie zur Notizen machenden Leserin und erklärt schließlich vor versammelter Gästeschar anlässlich ihres 80. Geburtstags, dass sie selbst zur Tat schreiten und unter die Schriftsteller gehen wird, aber, oh Lord, keine langweilige Autobiografie!

 

Doch noch einmal ganz zum Anfang des Buches, und damit zu einer vorausgreifenden, Hinweis gebenden Szene - sie deutet den kleinen großen 'Skandal' an, der den Leser erwartet.

 

Die Szene: Die Queen zusammen mit dem französischen Präsidenten unterwegs zum Staatsbankett:

 

"Wo wir jetzt unter uns sind", [...] "kann ich Sie - was mir schon lange auf dem Herzen liegt - nach dem Schriftsteller Jean Genet ausfragen."

Der Franzose ist irritiert und antwortet nur mit einem Aha und Oui. Doch die Königin lässt nicht locker: homosexuell, Sträfling, Skandalschriftsteller ... "Aber war er tatsächlich so schlimm, wie man ihn darstellte?" [...]

 "Jean Genet", wiederholte die Queen hilfsbereit. "Vous le connaissez?" "Bien sûr", antwortete der Präsident. "Il m'intéresse", sagte die Queen. "Vraiment?" Der Präsident ließ den Löffel sinken. Das würde ein langer Abend werden. (S. 5/6)

 

Diese Anfangsszene sagt viel über die Geschichte und die Art, wie sie geschrieben ist, aus. Alan Bennet gelingt es, die Queen ganz Königin und Souverän sein zu lassen - und ihr dennoch durch ihr Interesse für das Lesen, die Literatur und letztendlich für das Schreiben ein so hohes Maß an Menschlichkeit und irdischem Sein einzuhauchen, dass man ganz verliebt in sie und dadurch in das Buch wird.

 

Wohlgemerkt: Bei einem Staatsbankett spricht sie so selbstverständlich mit dem französischen Präsidenten über einen Schriftsteller, der homosexuell, ein Straftäter und Gefängnisinsasse über lange Zeit seines Lebens war und der Bücher teils pornografischen Inhaltes schrieb! Diese kleine Konversation auf Französisch: Sie kennen ihn? - Natürlich. Er interessiert mich. Wirklich? lässt einen verblüfften Präsidenten zurück und eine Königin, die sich keinen Deut darum schert, wer was über sie denken könnte. Und selbst wenn es der französische Präsident ist. Punkt. 

 

Lest alles Weitere selbst: Denn in der "Souveränen Leserin" verbinden sich komprimiert britischer Humor und Esprit mit einer langen Liste an Literaturvorschlägen in einer ganz und gar unterhaltsamen Weise auf hohem Niveau.

 

Bravo! Well done!


Alan Bennett, Die souveräne Leserin, ISBN 978 3 8031 1254 5, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 7. Auflage 2008, 115 Seiten

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