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Oliver Storz "Die Freibadclique"


Bucheinband zu Storz "Die Freibadclique" - Foto aus dem Privatarchiv des Autors
Bucheinband zu Storz "Die Freibadclique" - Foto aus dem Privatarchiv des Autors

Bubu, Knuffke, Hosenmacher, Zungenkuss und der Ich-Erzähler - das ist eine ganz normale Clique in Oliver Storz' autobiografischem Roman "Die Freibadclique". Die Jungs, alle um die 15, erleben das, was Jungen in ihrem Alter so erleben - Pennäler sind sie, verbringen ihre freie (Sommer)zeit im Freibad, verehren alle irgendwie Lore im roten Badeanzug, hören "Lilli Marleen" oder Benny Goodman oder Glenn Miller. 

 

So weit, so normal. Doch etwas ist anders... Denn es geht um den 1929er Jahrgang, und plus fünfzehn heißt, wir befinden uns im Sommer 1944. Vom Freibad aus schießt "am Westhorizont über den Waldhügeln … lautlos eine ME 262 entlang" (S.10), Lore mit "sündigen Augen … ist Nachrichtenhelferin vom Fliegerhorst" (S.14), "Lilli Marleen" ist von Goebbels verboten, "weil's der Amisender jetzt auch spielt, und drum ist's jüdisch verseucht" (S. 7) Und Goodman und Miller hören sie sowieso nur heimlich nachts im Geräuschdickicht der Störsender über einen amerikanischen Radiosender (S. 25). Sie sind der Jahrgang, der den letzten Volkssturm Hitlers einleiten soll.

 

Oliver Storz, geboren 1929 und gestorben 2011, veröffentlicht diesen autobiografischen Roman über seine Jugend erst 79jährig im Jahr 2008. Möglich ist, dass er diesen Abstand von mehr als sechzig Jahre gebraucht hat und vielleicht auch erst mit diesem Abstand ist es ihm möglich gewesen, so über seine (doch eigentlich verhunzte) Jugend zu schreiben. Trotzdem schreibt er ohne jeden Hass, ohne jeden Vorwurf oder Bitterkeit. Der Krieg und die Erlebnisse ringsherum werden in diesem Roman nie das Hauptthema, dennoch ist alles in dieser Geschichte von der (Nazi)zeit und dem Krieg durchdrungen, so sehr sich die Jungen auch bemühen, davon Abstand zu halten. Der Krieg und die Kriegsjahre sind ihr Alltag und dennoch wollen sie sich nicht davon vereinnahmen lassen. Nichtsdestotrotz tut der Krieg dies, die Kriegs- und die Nachkriegszeit wird ihre Zeit, so wie jeder und jede Kinder ihrer Zeit sind. 

 

So nimmt die Geschichte ihren logischen Verlauf und folgt der Prophezeiung von Zungenkuss: "Wir werden sowieso nicht alt" (S. 12) - nur acht Wochen danach erwischt es ihn als ersten von der Clique - beim Toilettengang auf einem Feld von einem Tiefflieger abgeschossen. Hosenmacher bleibt vermisst. Und Knuffke, der große Knuffke, verfängt sich in den Seilschaften des Nachkriegs-Schwarzmarktes derart, dass er ermordet wird. Übrig bleiben Bubu und der Ich-Erzähler/Autor, die einzigen, die nach diesem Jahr - 1944/45 - wieder zum Unterricht erscheinen. Und dieses fast bizarre Ende!, wenn der Lehrer Ströhle zum Pult geht - wie gewohnt, so beschreibt es Storz, als ob nichts gewesen wäre - um dann in die Klasse zu fragen: "Weiß je-jemand, wo wir ste-stehen geblieben waren?" (S. 247)

 

Die Figur des Knuffke finde ich überzeichnet. Der Berliner, der erst später in die Klasse und in die Clique stößt, der die Coolness nur so raushängen lässt und der in dieser manchmal unwirklichen Realität am meisten erwachsen sein will, aber dabei völlig überfordert ist. Knuffke, der ohne jegliche Rücksichtnahme, ohne jeglichen Rat oder Halt seinen Weg unbeirrt ins chaotische Ende geht. Aber doch - doch hat er Momente in der Clique, die ihn in das Leben seiner Jungs zurückholen. So - auf den Seiten 212/13 - als Knuffke und der Ich-Erzähler die "Lightning vom Zehnerbrett" machen, die Ligthning war eine doppelrumpfige Aufklärungsmaschine der US-Airforce. Und dies ist einer der wehmütigsten Momente des Buches, als diese beiden 16jährigen vom Zehnerbrett schweben, im Vergleich mit einer Kriegsmaschine - "Wichtig ist jetzt die präzise Gleichzeitigkeit des Absprungs, der auf Knuffkes Kommando erfolgt: "Uuund ab!" Und wir fliegen hinaus (zum letzten Mal, Knuffke, und wir haben es nicht geahnt, oder du doch?) ins Licht der Sonne von damals, wir schweben waagrecht in strenger Parallelität, ein Fluggerät, zwei Körper..."

 

Solche Momente machen das Buch stark. Normalität ist alles, wonach sich diese Generation, ob jung oder alt, gesehnt hat. Die Dinge und das Leben gehen weiter, es geht um das Trotzdem-Leben und um das Trotzdem-Weitermachen.

 

Aber lest diese Passagen in der Gänze, so wie ihr das gesamte Buch lesen solltet. Und danach schaut euch den Film von Friedemann Fromm an, wodurch ich erst auf dieses Buch gestoßen bin. 

 

Sprachlich, wenn sicherlich auch bewusst so von Storz als Jugendsprache gesetzt, liest es sich teilweise anstrengend, da sich manche Sätze über nahezu eine ganze Buchseite erstrecken.

 

Oliver Storz "Die Freibadclique", SchirmerMosel, München 2018, ISBN 978-3-86555-057-6, 247 Seit


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