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Christa Wolf "Nachdenken über Christa T."


Wiederentdeckung?!

Boah, eh - Wiederentdeckung! Von wegen! Christa Wolf (1929-2011) hat es mir schwer gemacht, sie "wieder zu entdecken". Die gute, hoch verehrte Christa Wolf, eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der DDR, bei der ich sogar noch zu DDR-Zeiten zu einer Lesung auf Schloss Wackerbarth in Radebeul dabei sein durfte... Aber mal langsam, erst mal zum

Inhalt

50 Jahre ist dieser Roman nun schon! 1969 wurde Christa Wolf damit bekannt und die DDR-Zensur hat sich zunächst geziert, es überhaupt zu veröffentlichen. Die erste Auflage umfasste deshalb auch nur wenige hundert Stück. Warum?

 

Hier denkt die Ich-Erzählerin über ihre jung an Leukämie verstorbene Freundin Christa T. und ihr Leben nach. Ein Rückblick, eine Annäherung, die schwierig ist und sich puzzleartig entwickelt aus Erinnerungen, nachgelassenen Schriftstücken und Befragungen von Zeitzeugen. Die Freundinnen kennen sich zwar aus der Schulzeit, noch zur Zeit des 2. Weltkrieges. Sie begegnen sich wieder zum Studium in Leipzig in den 1950er Jahren der DDR, und die Freundschaft dauert seitdem an, trotzdem bleibt der Rückblick aus den Augen der Ich-Erzählerin seltsam distanziert, weil unsicher rätselnd über die wahre Persönlichkeit der Freundin.

Meine Kritik

Jeder, der dieses Buch heute liest und keine Verbindung zur DDR hat, wird sich sicherlich wundern, warum das Buch es schwer hatte, (damals) veröffentlicht zu werden. Aber auch noch dreißig Jahre nach der Wende ecke ich beim Lesen an gewissen Stellen an und ja, vor allem ist die Christa T. eine Figur, die in der DDR so bestimmt nicht gewollt war.

 

Gewollt waren aufstrebende, optimistische, anpackende Figuren, die auch in der Literatur den Aufbau des Sozialismus bedingungslos und widerspruchslos förderten. Aber schon zu Schulzeiten, so erinnert sich die Ich-Erzählerin gleich zu Beginn des Romans, ist Christa T. eine, die nicht zur Gemeinschaft gehören will ("Sie bewarb sich übrigens nicht um Aufnahme... Die Wahrheit war: Sie brauchte uns nicht." S. 12) Und das bleibt durchweg im gesamten Roman so. Christa T. ist eine Scheue und eine Zweifelnde, eine Unsichere, eine Suchende, die auch einfach mal wegbleibt vom Studium und dann wieder auftaucht. Eine, die auch offensichtlich in depressive Phasen fällt ("In dem Brief steht aber, dass sie sterben wollte und sonst zu nichts Lust hatte." S. 79), und so natürlich nicht in das sozialistische Rollenmodell passte.

 

Trotzdem die Geschichte vor dem DDR-Hintergrund der 1950/60er Jahre spielt, bleibt das Thema der Lebenssinn- und Identitätssuche ein immer aktuelles. Allerdings - und besonders nach einer Angelika Klüssendorf mit ihrer klaren, geradlinigen Sprache - habe ich gekämpft mit Christa Wolfs Sprachstil - er ist kompliziert, Sätze sind teils umständlich konstruiert, oft unvollständig oder mit Satzeinschüben … und dann immer dieses Distanz schaffende Christa T.: "Schon sehe ich sie, Christa T.,..." S. 29, "Sie, Christa T., kannte ihn auch..." S. 33 oder "Sie aber, Christa T., auf unserem Weg zum Bahnhof..." S. 37 …. puh!

 

Und dann kommt für mich beim Lesen der Bruch, ganz und gar im Positiven, und zwar als sie ihren Mann Justus kennenlernt, sie sich ein Grundstück am See im Mecklenburgischen kaufen und ein Haus darauf bauen, sich währenddessen schon die Krankheit ankündigt und die Erinnerungen der Erzählerin Christa T. schließlich bis in den Tod begleiten... Und plötzlich liest sich die Geschichte anders: hoch emotional, poetisch und ganz nah dran, obwohl die Erzählerin vorher so weit weg von der Freundin wirkte.

 

Hier holt Christa W. in Christa T. (!) alles auf, was sie mir zunächst so fern machte und überzeugt restlos, wieder.

 

Deshalb Zeit und Muße nehmen, kein Buch für Zwischendurch und zum Durchhetzen, denn schließlich dann doch die fünf Miezen!

Christa Wolf, Nachdenken über Christa T., Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH, Berlin, 1. Auflage 1999, 206 Seiten, ISBN 3-7466-1587-9

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