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Édouard Louis "Wer hat meinen Vater umgebracht"


Édouard Louis "Wer hat meinen Vater umgebracht"
Spiegel-Bestseller zur Ausleihe in der Zellinger Bücherei

Leseanlass

Das Buch von Édouard Louis habe ich in der Zellinger Bücherei entdeckt und – wie mich ein gut gemachtes Etikett bei einem Wein zum Kauf animieren kann – hat mich der Titel „Wer hat meinen Vater umgebracht“ zur Ausleihe bewegt, der klang irgendwie nach Krimi (dabei bin ich gar kein Krimifan 😉)

 

Inhalt

 Édouard Louis – eigentlich Eddy Bellegueule und geboren 1991 (!), hier im Interview – schreibt autobiografisch über seine schwierige Kindheit, seine armen Familienverhältnisse, seinen unsicheren Vater, und klagt gleichzeitig die französische Politik und die französischen Politiker namentlich an, die mit ihren verallgemeinernden Gesetzesentscheidungen Fälle wie seinen Vater – er konnte nach einer beruflich bedingten Wirbelsäulenverletzung nicht mehr seinen Beruf ausüben – hängen lässt.


 Meine Kritik zu "Wer hat meinen Vater umgebracht"

77 Seiten hat dieses Buch nur – dafür aber: intensiv, schonungslos, geradlinig, schnörkellos, traurig, verletzt, liebend!! Und noch so viel mehr.

  

Deswegen erlebe ich dieses Buch so:

  • Édouard Louis schreibt in der Ich-Form und spricht seinen Vater direkt mit Du an. Das macht die Geschichte so persönlich und so intensiv. Du hast aber … so klingt es und ich könnte meinen, diese Art des Schreibens (fast in Brief-Form) würde in Anschuldigungen und Vorwürfen ausarten, aber nein. Édouard Louis gelingt es gleichsam traurig, aber liebend versöhnlich zu schreiben.
  • Er erlebt seine Eltern, aber vor allem seinen Vater, widerspruchsvoll, und damit wahrhaftig. Mehrmals beschreibt er Ereignisse, in der Vater (wie aber auch die Mutter) ihn ignorieren, bloßstellen, psychisch verletzen. Andere Erinnerungen beweisen aber auch, wie sich der Vater für den Sohn einsetzt.       
  • Trotz aller vordergründig gelebten Männlichkeit beobachtet oder erfährt er auch eine weiche Seite an seinem Vater: Fotos, auf denen der Vater als Frau verkleidet ist und überaus glücklich wirkt, Erzählungen der Mutter, welch ein bewunderter Tänzer der Vater mal war oder er sieht den Vater bei einer Opernübertragung im Fernsehen weinen.

Und es sind diese punktuellen Erinnerungen, die dieses Buch so besonders werden lassen… 

Wenn ich mit dir ins Auto stieg, um Zigaretten zu holen oder andere Dinge einzukaufen, meistens aber Zigaretten, legtest du eine kopierte CD von Céline Dion ein, du hattest mit blauem Filzstift Céline daraufgeschrieben, du drücktest auf Start und sangst aus voller Kehle mit. Sämtliche Songs kanntest du auswendig. Ich sang mit dir mit, und ich weiß, das Bild ist ein Klischee, aber trotzdem, dies schienen die einzigen Momente zu sein, in denen du mir Dinge sagen konntest, die dir sonst nicht über die Lippen wollten. (S.64)

 

aber gleichzeitig so traurig, weil nur drei Absätze später:

Eines Abends sagtest du in der Dorfkneipe vor allen Leuten, du hättest lieber einen anderen Sohn gehabt als mich. Wochenlang wollte ich am liebsten sterben. (S.65)

Kein Krimi, jedoch eine Vater-Sohn-Geschichte aus der Sicht des Sohnes - ganz und gar ehrlich, dennoch trotz aller Wahrheiten, die die Differenzen in der Beziehung und die Schwächen des Vaters aufzeigen, nie bloßstellend.

 

Von mir ganz überzeugte

fünf Miezen!

 

Èdouard Louis, Wer hat meinen Vater umgebracht, S. Fischer Verlag GmbH, 2019, Deutsch von Hinrich Schmidt-Henkel, 77 Seiten, ISBN 978-3-10-397428-7


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