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Max Mohr "Frau ohne Reue"


Leseanlass

Würzburg liest (mehr dazu hier) und entdeckt 2020 den in Würzburg geborenen Max Mohr (1891-1937) wieder.


Inhalt

Lina Gade befreit sich von ihrem Bankiersgatten und ihrem einengenden Ehe- und Familienleben in Berlin und flieht in eine neue Beziehung mit einem erfolglosen Wissenschaftlicher – Paul Fenn. Nach einiger Zeit der Trennung holt sie sich die gemeinsame Tochter und zieht sich mit ihr und Paul in die Abgeschiedenheit eines Almhofes in den österreichischen Alpen zurück. Sie lebt ein abgeschiedenes, aber selbst bestimmtes, selbst versorgendes, also freies (?) Leben. Nachdem Paul verunglückt, zieht sie auch ihrer Tochter zuliebe zurück nach Berlin und übergibt sie wieder dem Vater. Scheinbar losgelöst von jeglichen Verpflichtungen kehrt sie mit einer Freundin in die Berge zurück und bleibt wieder in einem abgeschiedenen Hof hängen…


Mieze-Kritik

Max Mohr, geb. 1891 in Würzburg, gest. 1937 in Shanghai
Max Mohr, geb. 1891 in Würzburg, gest. 1937 in Shanghai

Dieses Buch bereitete mir über weite Teile so richtigen Lesespaß – was ich von einem Roman, der 1933 veröffentlicht wurde und von einem Autor, der so wenig bekannt ist, nicht unbedingt vermutet und erwartet hätte!

  

So muss ich ein Beispiel anführen - ab Seite 160:

 Lina Gade, die Hauptfigur,  fliegt mit einer Freundin – „der Billerton“ – über die Alpen in einem kleinen Flugzeug, „bereits ziemlich angekratzt und geflickt“Kolibri genannt. Anna Billerton ist eine scheinbar gänzlich freie Frau – „völlig unbekümmert, völlig heimatlos“. „Sie war an nichts anderes hingegeben als an die Luft, an den Äther und die Wolken, an das Nichts. Sie liebte einzig und allein die Leere, die sie allerdings meisterhaft beherrschte und durchschwebte.“  (S.161) Sie landet den Kolibri schließlich mal einfach so - auf einen eher unterschwellig geäußerten Wunsch von Lina hin angesichts der heimatlichen Erde - auf einer Bergwiese neben einem Bauernhof. Diese Szenerie, Lina und Anna in dem Flugzeug, erst schwebend „über dem europäischen Gebirg“, dann waghalsig landend, und das Ankommen auf diesem Bergbauernhof – das ist meisterhaft beschrieben.

 

Wie in einem Film läuft das Geschehen vor den lesenden Augen ab – ich sehe die zwei Frauen ankommen, die eine völlig versunken in Erinnerungen (Lina), die andere (Anna) das Gehöft und seine zwei merkwürdigen Bewohner entdeckend. Ich versinke lesend mit in die melancholischen Gedanken Linas und ich entdecke mit den eher skeptisch-wilden, aber dennoch verstehenden Augen einer Anna. Das ist grandios geschrieben, ganz plastisch, ganz mittendrin. Und der Perspektivenwechsel zwischen Anna und Lina von einem Absatz in den anderen ist keineswegs verwirrend, sondern passend und gelingt!

 

Weiter: das für mich beherrschende Thema an sich ist modern:

Schön für die, die in sich ruhen und mit ihrem Leben im Reinen sind, aber Frauen (und Männer), die hin- und hergerissen sind zwischen persönlicher Freiheit, Selbstbestimmtheit einerseits und andererseits aber sich eingebunden sehen in familiäre, persönliche und berufliche Abhängigkeiten, diesen Zwiespalt, diese Zerrissenheit, die im Buch nicht nur Lina Gade durchlebt, das ist heute, bald hundert Jahre nach Erscheinen des Buches immer noch ganz aktuell.

 

Den Spaß beim Lesen nehme ich auch daher, weil Mohr seinen Figuren trotz aller negativen Wendungen und Hintergründe positiv schwarzhumorig, wenn man so will ironisch gegenübersteht (was ich damit meine, versteht man wahrscheinlich erst beim Lesen) und aus den sehr kraftvollen, auf den Punkt gebrachten Dialogen.

 

Der schicksalhafte Weg einer Frau von heute aus der Familiengebundenheit in ein Leben frei von allen Beziehungen… So schreibt der Klappentext schon im Erscheinungsjahr 1933! Aber ist Lina frei von allen Beziehungen? Geht das überhaupt? Und ist sie tatsächlich eine Frau ohne Reue?

 

Sucht die Antwort selbst im Buch, es ist für jeden sicher eine andere!


Max Mohr, Frau ohne Reue, Weidle Verlag, Bonn 2020, Mit einer biographischen Skizze von Roland Flade und einem Nachwort von Stefan Weidle, 220 Seiten, ISBN 978-3-938803-95-0

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