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Simone Lappert "Der Sprung"


Vorneweg

Maybe I’m crazy

Maybe you ´re crazy

Maybe we ´re crazy

Possibly

Gnarls Barkley (S.7)


Inhalt

„Der Sprung“ spielt in Thalbach in der Nähe von Freiburg. Manu steht auf dem Dach eines Wohnhauses und will springen. Wie beeinflusst dieses unerhörte Ereignis die Menschen, bekannter- oder unbekannterweise, um sie herum? Über ein Dutzend Figuren werden um diesen Sprung gruppiert – zum Beispiel Ladenbesitzerin Theres mit ihrem Mann Werner, Cafébetreiberin Roswitha und ihre Gäste, Polizist Felix mit seiner schwangeren Frau, Maren und ihr Freund Hannes, die in der Wohnung wohnt, von der aus die Rettung erfolgen soll, Astrid, Manus Halbschwester und noch viele mehr, nicht zuletzt Finn, Manus Freund und Fahrradkurier.


Mieze-Kritik zu "Der Sprung" oder "Glaubst du, sie ist verrückt?"

Aus zehn Perspektiven wird der Roman erzählt und die Handlungsstränge überschneiden sich teilweise nur marginal und manchmal auch erst sehr spät. Zwei der zehn Figuren werden sogar erst auf den Seiten 147 bzw. 208 (von insgesamt 331 Seiten) eingeführt. Das ist anspruchsvoll und verwirrend beim Lesen, Figuren tauchen nach längerer Pause zum zweiten Mal auf und ich frage mich: Wer war das gleich noch mal??

 

Das ist aber auch schon das einzige Manko der Geschichte. Und vielleicht braucht es auch dieses Gewimmel von Figuren, um zeigen zu können, was so ein scheinbarer und öffentlicher Selbstmordversuch mit so einer Kleinstadt macht:

 

Was macht „Der Sprung“ mit Thalbach und seinen Bewohnern?

 

Theres und Werner, den Ladenbesitzern, beschert er den Umsatz schlechthin, seit langem.

Roswithas Café ist bis spätabends voll besetzt, da sich von hier optimal das Ereignis beobachten lässt.

Felix, der Polizist, wird mit einem vergangenen einschneidenden Erlebnis konfrontiert, das er bisher noch niemandem erzählt hat.

Maren und ihr Freund haben sich auseinandergelebt, und da ihre Wohnung gerade besetzt ist, nutzt sie die Gelegenheit und flieht mit ihrem Lover nach Paris.

Astrid, Schwester von Manu und Bürgermeisterkandidatin von Freiburg, ist im Gewissenskonflikt angesichts der Publicity, die die Aktion mit sich bringen könnte –

und Finn? Finn, der nicht einmal Manus Nachnamen kennt, der sie aber trotz ihrer Verrücktheiten liebt, wird er zu ihr halten?

 

 

 

Manus unheilvolle und scheinbar verrückte Aktion beeinflusst nicht nur die Menschen, die sie kennt und die sie kennen, sondern auch ihr unbekannte – wie man sieht, nicht nur negativ – für manche stellt sich der Sprung paradoxerweise auch als Glücksfall heraus. Andersherum hätte jede Figur genauso einen Grund wie Manu zu springen – ob miserabel laufende Geschäfte oder traumatisches Kindheitserlebnis oder fremdgehender Partner…

 

Figuren und Handlungen sind zwar nur langsam, aber gekonnt miteinander verknüpft – und deshalb möchte ich selbst den Designer Ernesto nicht missen, der erstmals auf Seite 147 auftaucht und bei dem ich mich zunächst fragte: Muss der auch noch sein?? Aber wie er aus dem fernen Italien und der simple Filzhut aus Thalbach bei Freiburg in Deutschland zueinander finden gibt der Geschichte die Prise Humor und Leichtigkeit. So findet jede Figur ihre Berechtigung, da ist tatsächlich letztendlich keine zu viel. 

 

Und die Frage nach dem Verrücktsein beantwortet Roswitha auf Seite 268 lebenserfahren:

„Wer ist das nicht“ … „Ich meine, wir sitzen hier auf einem zillionenalten Planeten, evolutioniert bis hinter die Ohren, wir trinken Cappuccino und Jägermeister, es gibt kleine ferngesteuerte Autos, in die man sich nicht hineinsetzen kann, es gibt Fingernägel zum Ankleben und Penispumpen und Schnee und Schaukelstühle, es gibt Kanarienvögel und Drohnenkriege und künstliches Apfelaroma, und dann sind wir trotzdem der Liebe ausgeliefert und dem Wunsch, jemandes großes Glück zu sein, wir sind der Müdigkeit ausgeliefert und den Menschen, die uns zur Welt bringen, und ständig müssen wir gegen unseren Hang zur Trägheit ankämpfen, also wenn du mich fragst, so gesamthaft gesehen, ist das Nichtverrücktsein die eigentliche Anomalie.“

 

So wird denn "Der Sprung" schlussendlich auch ein verrückter Glücksfall für die Leserin.

 


Simone Lappert, Der Sprung, Diogenes Verlag Zürich AG 2019, 331 Seiten, ISBN 978 3 257 07074 3

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