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Walter Kohl "Leben oder gelebt werden"


Inhalt

Autobiografie von Walter Kohl, aber insbesondere Aufarbeitung seines „Schicksals“ als der „Sohn vom Kohl“, seines Zeichens Bundeskanzler Helmut Kohl


Mieze-Kritik zu "Leben oder gelebt werden"

Die Vorstellung ist, wenn man einen berühmten Namen trägt oder in ein bekanntes Elternhaus hineingeboren wird, sich so vieles im Leben einfacher gestaltet: Sei es beispielsweise, dass man leichter Kontakte knüpft im Beruflichen wie im Privaten, weil man einen Namen trägt, der Tür und Tore öffnen sollte…

 

Walter Kohl wurde 1963 als ältester Sohn von Helmut und Hannelore Kohl geboren, er war gerade sechs Jahre alt, als sein Vater Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und ein junger Mann als Helmut Kohl 1982 Bundeskanzler wurde. Der Vater war aufgrund seiner hoch gesteckten politischen Ambitionen hauptsächlich abwesend, die Familie wurde von der Mutter gemanagt und trotzdem und dennoch musste er schon bei Schuleintritt die Erfahrung machen, dass er hauptsächlich als der „Sohn vom Kohl“ wahrgenommen wurde – ein Stigma, das ihn lange Jahre seines Lebens begleitete und über das Walter Kohl mehr und mehr in die Opferrolle schlüpfte. „Sohn vom Kohl“ zu sein war vor allem Last denn Entlastung in Walter Kohls Leben.

 

Eindringlich wird dem schon 38jährigen Walter Kohl erst bei der simplen Frage seines eigenen Sohnes: „Papa, ist das Leben schön?“ bewusst, wie passiv und ferngesteuert sein Leben bis dahin war und wie verfangen er in der Rolle des Opfers als „Sohn vom Kohl“ im selbst definierten Opferland ist. „Meine Herkunft war das Blei in meinen Schuhen.“ (S.222)  So ist dieses Buch weit weniger als Abrechnung Walter Kohls gegenüber seinem berühmten und allmächtigen Vater zu verstehen, denn vielmehr als Selbstbefreiung aus der Abhängigkeit von seinem Namen und des für ihn nur einzig möglichen Weges daraus, nämlich durch Versöhnung damit oder Loslösung davon. Es ist vor allem auch eine Hommage an seine Mutter Hannelore Kohl und endet mit der Einsicht, dass man keinen Anspruch auf und an seinen Vater Zeit seines Lebens hat.

 

Nachhallend war für mich, wie Walter Kohl die Zeit des RAF-Terrors erlebte, wie sich die Sicherheitsvorkehrungen mehr und mehr um die Familie Kohl schnürten – für Walter Kohl als Kind eine unheimliche, nicht fassbare, aber von den Eltern kaum erklärte und verdrängte Bedrohung, die ihm nur von Hanns Martin Schleyer, dem damaligen Arbeitgeberpräsidenten, in einem eher zufälligen Gespräch erklärt werden konnte, der schließlich selbst dem Terror während seiner Entführung zum Opfer fiel.

 

Nichtsdestotrotz bleibt natürlich als „Normalgeborene“ beim immer und immer sich wiederholenden Lesen, wie sehr Walter Kohl unter seinem Namen gelitten hat, ein ermüdender, larmoyanter und zum Ende hin auch schaler Beigeschmack, dass viele die Privilegien, die er aufgrund seiner Herkunft hatte, nie und nimmer in ihrem Leben haben werden.


Walter Kohl, Leben oder gelebt werden, Schritte auf dem Weg zur Versöhnung, Integral Verlag, Neunte Auflage München 2011, 272 Seiten, ISBN 978 3 7787 9204 9

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