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Joachim Meyerhoff "Hamster im hinteren Stromgebiet"


Inhalt

Joachim Meyerhoff war lange Zeit und sehr erfolgreiches Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater (seit 2019 spielt er in Berlin). 2018 erleidet er einen Schlaganfall. Wie er diesen erlebte, unmittelbar und im Fortlauf, insbesondere in den Tagen in einem Wiener Krankenhaus, beschreibt er im vorliegenden Buch. 


Mieze-Kritik zu Joachim Meyerhoff "Hamster im hinteren Stromgebiet"

„Hamster im hinteren Stromgebiet“ ist für Joachim Meyerhoff Teil 5 seines Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“. Für mich ist dieser Roman der erste Teil, den ich aus dieser Reihe lese (u. a. „Alle Toten fliegen hoch – Amerika“, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ und weitere). Dass ich sie quasi von hinten beginne stört in keinster Weise. Ich nehme an, auch die anderen Teile kann man unabhängig voneinander lesen.

Von der Rampensau zum sterbenden Schwan war es nur ein Katzensprung (S.152)

Meyerhoff beschreibt - ausschließlich aus seiner Perspektive -, wie er aus einem prall und intensiv gelebten Leben aufgrund des Schlaganfalls wie aus dem Nichts in einer Blase landet und seine Verbindung zur Außenwelt wie gekappt ist. Vor allem zur Nacht hin überwältigt ihn die Angst vor einem zweiten Schlaganfall und damit vor dem Tod, vor der er in Gedanken, bildgewaltig, mit viel Humor und mit Selbstironie in Geschichten, Erinnerungen und zurückliegende Reisen flüchtet. Diese Fluchten sind seine Rettung - nicht durchzudrehen und zu verzweifeln, auch angesichts der weit dramatischeren Verläufe, die er auf der Intensivstation liegend mit seinen Bettnachbarn direkt vor Augen und Ohren hat. 

Ich war total erschöpft vom Hoffnungsschöpfen (S.231)

Meyerhoffs Krankengeschichte und wie er diese erzählt haben mich in einen Leseerlebnis-Zwiespalt geführt.

 

Einerseits bewunderte ich beim Lesen seine Sprachgewaltigkeit und seine -kreativität, andererseits geht mir gerade diese Wucht der Wörter immer wieder auf die Nerven und grenzt fast an eine Wort-Reiz-Überflutung, so dass ich zum Ende des Buches auch irgendwie froh bin, dort angekommen zu sein. Als Leserin, die eher die schnörkellosere Literatur bevorzugt, bin ich mehr und mehr gesättigt von der Vielzahl an Wortschöpfungen. Hier nur eine Auswahl: schwalbenschnell, Sorgenexplosionen, Schlagerlstar (Schlagerl ist österreichisch für Schlaganfall), komatöses Promilleparadies, dionysischer Supergau, Visagenzorn, Verliervirtuose u. v. m.

 

Nichtsdestotrotz vergisst Joachim Meyerhoff nicht, ruhigere, sinnlichere Momente aus seinen Erinnerungen einzubauen, beispielhaft steht hier die Rettung eines Vogels (S. 233, sehr schön) oder sehr gelungen auch, wie er mich als Leserin an seinem Rausch beteiligt, wenn er in das Haar seiner Töchter hineinriecht. 

 

Nun - Meyerhoff hat mich überzeugt, auch, weil er bei aller Ernsthaftigkeit des Themas und trotz der auch beschriebenen peinlichen Krankenhausmomente distanziert und doch so nah dran, mit Witz und Esprit an sein Erlebtes herangeht. Anzuzweifeln bleibt, ob er damit beispielhaft allen Schlaganfallpatienten aus dem Herzen und dem Hirn spricht.


Joachim Meyerhoff "Hamster im hinteren Stromgebiet", Verlag Kiepenheuer & Witsch, 1. Auflage Köln 2020, 307 Seiten, ISBN 978 3 462 00024 5

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