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Bernhard Schlink "Abschiedsfarben"


Also, ich muss mir eigentlich an den Kopf greifen! Wieder ein Erzählband!

 

Erzählbände haben aus meiner Lesewarte gesehen grundsätzlich schon mal schwierigere Voraussetzungen als ein Roman… denn: Wie ist es möglich - hier bei Bernhard Schlink „Abschiedsfarben“ sind es neun - durch jede einzelne Erzählung hindurch gleiches Leseinteresse, gleiche Lesefreude, gleiche Lesespannung zu erzeugen? Nun, ein Roman an sich und auch ein guter Roman kann durchaus auch streckenweise Schwächen aufzeigen, aber bei Geschichtensammlungen sind diese doch einfacher erkennbar aufgrund der Abgeschlossenheit der Einzelteile.

"Sommerlügen" versus "Abschiedsfarben"?

Ganz schön deppert, Jana. Der schöne Titel „Sommerlügen“ konnotierte Leichtigkeit und was bekam ich: Schwermut. Vielleicht nun andersherum: „Abschiedsfarben“ bringt mir nun die erhoffte Beschwingtheit? Ach, ist aber auch und überhaupt und schon wieder ein Ding mit den Erwartungen.

 

Bernhard Schlink beginnt so: Sie sind tot – die Frauen, die ich geliebt habe, die Freunde, der Bruder und die Schwester und ohnehin die Eltern, Tanten und Onkel. Ich bin zu ihren Beerdigungen gegangen, vor vielen Jahren oft, weil damals die Generation vor mir starb, dann selten und in den letzten Jahren wieder oft, weil meine Generation stirbt. (S. 7)

 

Wieder: ein schweres Herz, ja, aber: Es bleibt nicht so.

 

Es geht Bernhard Schlink in seinen Erzählungen erneut um Schuld, um Rechtfertigung, um Verzeihen, um Eingeständnisse. Es ist fast kriminalistische Spannung dabei (Picknick mit Anna), es rührt mich zu Tränen (Das Amulett), es überrascht (Geliebte Tochter), auch erotische Momente dürfen nicht fehlen (Der Sommer auf der Insel).

 

Ja, ich sehe ihn sitzen, Bernhard Schlink schreibend am schweren Schreibtisch und in den vollen Topf seiner (Lebens)Erfahrungen greifen. Er kennt die Nuancen der menschlichen Möglichkeiten - und ich erspüre, ich erlese die Erfahrenheit des 76jährigen tatsächlich. Dadurch wirkt das Geschriebene allerdings ein bisschen abgeklärt, es ist gleichmütig und unaufgeregt, andersherum ausgedrückt: Es fehlt die sprachliche Überraschung, der Esprit, das Andere – aber: es gefällt, es hält mich. 


Bernhard Schlink, Abschiedsfarben, Diogenes Verlag AG Zürich 2020, 232 Seiten, ISBN 978 3 257 07137 5

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