· 

Thilo Krause "Elbwärts"


Kein Buch aus meiner bisherigen Bloggerzeit, und das sind immerhin schon über zwei, nein! bald drei Jahre, hat mich so hin und her gerissen beim Lesen wie „Elbwärts“ von Thilo Krause. 

 

Empfohlen über Instagram-Umwege (von @ina_introvert auf @buchstabentraumtänzerin) bin ich mit einer gewissen Heimateuphorie ans Lesen gegangen, da der Roman nun einmal unweit meines Herkunftsortes spielt, und zwar in dem ach so zauberhaften Elbsandsteingebirge. Schon allein der Titel „Elbwärts“ hatte mich, gleichfalls an diesem Fluss aufgewachsen, ganz erwartungsfroh gestimmt.


Mehr Geist als Person, eine seltsame Erscheinung (S.165)

Thilo Krause "Elbwärts" unter Verwendung von Paul Häusler "Elbebogen bei Diesbar"
Thilo Krause "Elbwärts" unter Verwendung von Paul Häusler "Elbebogen bei Diesbar"

Ein Namenloser kehrt mit Frau Christina und Kind („die Kleine“) in die Heimat zurück und zieht in ein Haus auf dem Berg oberhalb des Dorfes in der Sächsischen Schweiz nahe der tschechischen Grenze. Die Aufnahme mit offenen Armen bleibt aus, der Rückkehrer bleibt seltsam fremd in der Heimat. 

 

Er selbst erzählt und befindet sich wie in einer Erzähl- und Lebensweltblase: Seine Umgebung, das Dorf, die Einwohner, ja sogar Frau und Kind, sind auf eine merkwürdige Weise auf Distanz, der Heimkehrer findet keinen Zugang zum Dorf, und auch die Bewohner finden keinen Kontakt zu ihm (die Batikfrau, der Schiebermützenmann bleiben gleichfalls namenlos). Er fühlt sich beobachtet und überwacht, er, der keiner Arbeit nachgeht, tags durch die Natur streift und barfuß durchs Dorf läuft. Diese fremdartige Stimmung übertrug sich auf mich. Der Erzählton hatte zudem etwas von Selbstmitleid. Es resultierte vor allem auch aus der Schuld, die ihm von der Umwelt und vom Dorf unberechtigterweise, aber auferlegt wurde: Bei einem gemeinsamen Kletterausflug in der Kindheit stürzte sein bester Freund Vito ab und verlor in Folge dessen ein Bein. 


So euphorisch gestartet, so schnell gestrandet...

Nun ist da aber die andere Seite meines Lesens, und zwar hat das mit dem Wie des Erzählens zu tun: Thilo Krause kann den Moment erfassen, und er kann ihn unheimlich schön erfassen. Das liegt auch in der Gestalt seiner Hauptfigur – der Rückkehrer streunt durch die Wälder, geht in die Felsen und über die Felder und schwimmt mitten in der Entengrütze im Dorfteich und sieht, hört, fühlt:

 

In den drei Monaten, die wir jetzt im Dorf wohnen, hat es mir immer gefallen, wach zu liegen neben Christina, die so tief schläft, dass ich ihren Atem kaum höre: Draußen geht der Wind umher. Der Nachtwind, den es nur hier oben im Dorf gibt. Kein leises Lüftchen, auch keine harte Böe. Die Blätter der Obstbäume bewegen sich ganz ohne Gewalt. Es ist ein großes, friedliches Rascheln. Dann Pause. Dann wieder Rascheln. Der Wind ist mehr Bewegung als Geräusch. Ich höre ihn, aber vor allem denke ich mir die Blätter, wie sie sich wenden, von der einen auf die andere Seite. Es ist der Dorfwind, den ich schon als Kind kannte. Ich dachte, er käme nur für mich in den Garten und dann herauf zu den Ästen vor meinem Fenster. Fast wie ein Tier erschien er mir, ein Tier, das meine Nähe suchte. (S. 53)

 

Thilo Krause kann Sprache. Immer wieder sind da so wunderschöne Sätze eingestreut wie: Ich roch ihr Haar, spürte ihre Hüfte an meiner und dachte an die langen Nächte anderswo, eingerollt in unseren Atem (S. 117), Mein Blick ist wie angefroren im Blau (S. 120) oder Die Sonne filtert träge durch die Kiefern (S. 125). Passagen wie Gedichte!

 

In dieser Symbiose aus Außenseitertum, Poesie und des genauen Beobachtens des Hauptdarstellers wächst bei meinem Lesen das Verständnis für die Ferne, die er in der Heimat empfindet. Dass es auch an der Abneigung liegen könnte, die er gegenüber der immer präsenteren Neunazikultur hat - sie wird immer wieder klar und deutlich, aber nicht dominant eingestreut. Dass das Projekt Heimat auch an seiner eigenen Person und Persönlichkeit scheitert, erahnt man.

 

Wenn „Elbwärts“ so etwas wie ein Heimatroman ist, dann mit dieser Erkenntnis: Heimat verändert sich und auch der Blickwinkel darauf. Vielleicht ist sie vielmehr Freundschaft, und die verzeiht Brüche und Anderssein. Vito bleibt, Freunde bleiben und Frau und Kind.


Thilo Krause, Elbwärts, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München, 1. Auflage 2020, 207 Seiten, ISBN 978 3 446 26755 8

Kommentar schreiben

Kommentare: 0