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Stephanie Gregg "Nebelkinder"


Die in Lohr am Main aufgewachsene Stephanie Gregg wurde mir mit ihrem Roman „Nebelkinder“ über einen Artikel der Main-Post vorgestellt. Wieder einmal spielte Lokalkolorit in meine Lesemotivation, aber auch das Thema Flucht in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg war leseausschlaggebend.

Inhalt von "Nebelkinder"

Stephanie Gregg "Nebelkinder"
Stephanie Gregg "Nebelkinder" Foto: ©Jana Hebig

Wie die Autorin selbst im Nachwort ausführt, nennt man „Nebelkinder … in der modernen Psychologie die Generation der Kriegsenkel … und bezeichnet jene Generation, die eigentlich nichts mehr mit dem Krieg zu tun hat und die dennoch bewusst oder meist unbewusst die Traumata ihrer Großelterngeneration, der Kriegsgeneration sowie ihrer Eltern, den Kriegskindern, übernommen hat.“ (S. 372)

 

Lilith wird in der Gegenwart von ihrem Ex gebeten, das Kind seiner tödlich verunglückten Freundin in Obhut zu nehmen. Sie fühlt sich außerstande und stellt generell in Frage, ob sie die Rolle als Mutter übernehmen kann. Ihre Mutter Anastasia kann diese Zweifel nicht akzeptieren und drängt die Tochter auf eine gemeinsame Reise nach Breslau und damit in die Vergangenheit.

 

So spannt sich der Handlungsbogen des Romans von den 1930er Jahren bis 2017 und behandelt drei Generationen, vor allem aber hier die Frauen: Großmutter Käthe, Tochter Anastasia und Enkelin Lilith.

 

Es geht um das Thema Flucht und Frauen zum Ende des Zweiten Weltkrieges, um dabei erlittenes Leid, aber vor allem auch um das damit verbundene Schweigen und Nicht-Erzählen. Es geht um die Frage, wie weit das Erlebte und das Nicht-Erzählte in das Leben und das Verhalten der nachfolgenden Generationen hineindringt, obwohl diese an und für sich nichts mehr damit zu tun haben. 


Mieze-Kritik zu Stephanie Gregg "Nebelkinder"

Bei allem Interesse, das ich für das Thema der Flucht rund um den Zweiten Weltkrieg und auch für das Psychologische eben gerade dieser letzten Frage habe, hadere ich mit zwei Dingen:

 

Das ist zum einen der Schreibstil der Autorin und zum anderen die Darstellung von Käthe, der Großmutter.  

  • Käthe ist eine schwache Figur, die leider über lange Strecken nicht am Geschehen teilnimmt und sehr passiv dargestellt wird. Diese Lethargie wird aus ihrem Fluchttrauma und ihren Depressionen erklärt, sie verwindet allerdings ebenso ihr Leben lang nicht den Verlust der Privilegien, die mit ihrer 'besseren' Herkunft verbunden waren. Geschultert wird das Alltägliche von Tochter Anastasia, und selbst in ihren guten Momenten bleibt Käthe daher eher unsympathisch. Dabei muss ich – quasi selbst ein Nebelkind – immer an meine Oma denken, die anpackend, im Leben und alleinstehend die Familie nach der Flucht aus Ostpreußen durchgebracht hat.
  • Stephanie Gregg schreibt leicht und flüssig, ich habe die 380 Seiten trotz der Schwere des Themas zügig und auch zugewandt ausgelesen. Jedoch erklärt die Autorin viel und stellt Fragen, die ich vielleicht selbst gerne in meinem Kopf entworfen hätte. Zudem mag sie die Wiederholung: Lilith entwickelt sie als „Sammlerin der Augenblicke“ - was ich als Idee total mag - dies wird allerdings explizit so auch immer wieder geschrieben, obwohl ich das ja schon weiß und es mir selbst beim weiteren Lesen aus der Geschichte, dem Beschriebenen erschließen könnte. Genauso verfährt sie mit dem ständig wiederholten, dann eben auch irgendwann nervenden Credo der Familie Vahrenhorst: Rücken gerade. Kinn hoch. Contenance.

Ein dennoch lesenswertes Buch, da es dieses so wichtige (und ja auch immer aktuelle) Thema Flucht aufgreift und das, was es mit den Menschen, die ein neues Zuhause suchen, macht: Flucht ist nicht einfach Bewegen von Heimat- nach Zufluchtsort, der Weg dahin ist unwegsam und prägt und bleibt Teil des Lebens – und ist eben nicht mit Erreichen des Zieles abgehakt.  


Stephanie Gregg, Nebelkinder, Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, 2. Auflage Berlin 2020, 380 Seiten, ISBN 978 3 7466 3592 7

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