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Sarah Kuttner "Kurt"


Ich brauche genau bis zum ersten Satz auf der 83. Seite, bis ich in diesem Buch bin. 82 Seiten, während derer ich denke: Oh, na ja. 


Worum geht es?

Der große Kurt kauft wegen des kleinen Kurts mit seiner Freundin Lena ein Haus. Sie ziehen von Berlin nach Oranienburg ins Brandenburger Land. Die kleine Patchworkfamilie gewöhnt sich gerade aneinander, sie haben sich wochenweise. Das Verhältnis zur Ex Jana ist distanziert, aber passt so weit. Lena ist sehr verliebt, der große Kurt erscheint wie Mr. Perfect, auch im Umgang mit seinem Sohn. Lena geniert sich, wenn sie mit nacktem Po durchs Haus läuft, wegen des kleinen Kurt. Der große Kurt zieht den Bademantel vom kleinen Kurt über, weil er gerade seinen nicht findet. Da lese ich von einer „fancy Einfahrt“ und einem „fucking Park“. Mh. Okay.


„Ich will nicht getröstet werden.“ (S. 162)

Sarah Kuttner "Kurt"
Sarah Kuttner "Kurt"

Okay, ich wusste, ich war darauf vorbereitet, was in diesem Buch passieren wird.

 

Und dann kommt der erste Satz auf Seite 83: „Und dann fällt Kurt vom Klettergerüst.“  Ich atme tief durch beim Lesen. Und auch jetzt, wenn ich diesen Satz abtippe, wächst wieder der Kloß im Hals.

 

Was danach kommt, hat mich zu 100 Prozent, nein, zu 1000 Prozent überzeugt.

Sinn macht vor allem, dass Lena erzählt: sie, die vorher noch an ihrer Position zum kleinen Kurt gezweifelt hat. Sie, die nicht aus der Position der Mutter Jana den ganzen Mist durchleben muss. Und dennoch:  die überlegt, ob sie sich selbst Trauer zugestehen darf. Lena, die hilflos, aber mit Herz und Liebe zusieht, wie mit dem kleinen Kurt auch der große Kurt zu verschwinden scheint, Kurt im Keller, der kaputte Kurt. Und wie traurig geschickt es von Frau Kuttner ist, den kleinen Kurt wie den großen Kurt zu nennen. Überall Kurt.

 

In Sarah Kuttners "Kurt" geht es um den großen Einschnitt im kleinen Glück des Lebens, um die Trauer, die uns reinreißt und um die Möglichkeiten und Eventualitäten, da raus zu finden. Um den Umgang mit den Leuten, die darin festhängen und um die so sinnlos scheinende wie vielleicht dennoch befreiende Einsicht, dass das Leben danach und mit der Trauer einfach so weitergeht.

 

Ganz grandiose dicke fette fünf Miezen, Frau Kuttner!


Als Nachschlag Lieblingssätze und -wörter:

 

Kladderadatsch (S.108)

 

Kurt sieht mir zu. Ungeschliffen und vollkommen freistehend lungert Zuneigung in seinem Gesicht rum. (S.160) 

 

Laura macht irgendwas auf ihrem Handy, und die vorabendlichen Geräusche der Umgebung lullen mich in eine angenehme Friedlichkeit, in der ich für immer verbummelt gehen möchte. (S.178)


Sarah Kuttner, Kurt, FISCHER Taschenbuch, März 2020, 240 Seiten, ISBN 978 3 596 70415 6

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