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Judith Hermann "Daheim"


Worum geht es?

Sie lebt in der Stadt, arbeitet in der Zigarettenfabrik, könnte als Assistentin eines Zauberers auf einem Kreuzfahrtschiff nach Singapur reisen und muss sich entscheiden; ein halbes Leben später fällt ihr dieser lang vergessene Wendepunkt plötzlich wieder ein. Jetzt lebt sie auf dem Land und an der Küste, sie hat sich ein Haus eingerichtet, schließt eine vorsichtige Freundschaft, versucht noch einmal eine Liebesgeschichte. Kann sie bleiben? Oder wird sie weiterziehen. 


Mieze-Meinung zu Judith Herrmann "Daheim"

Judith Hermann "Daheim"
Judith Hermann "Daheim"

Ich habe mich schwer getan mit dieser nur 189 Seiten umfassenden Geschichte, die von der 47jährigen namenlos bleibenden Hauptfigur erzählt wird.  Beim Lesen entwickelte sich bei mir eine merkwürdige, ja fast ablehnende Stimmung dem Erzählten und der Erzählerin gegenüber. Ich versuche zu bestimmen, woran das liegt.

 

Das Erzählte wirkte wie in Watte gepackt, wie in einer Blase. Die Hauptfigur bleibt in Distanz zu sich selbst und zu dem und über die sie rückblickend aus der Vergangenheit berichtet und in der Gegenwart erzählt. Ich konnte keine Nähe zu ihrem Erleben, zu ihr und zu den Akteuren um sie herum aufbauen.

 

In der Gegenwart, in diesem Dorf an der Küste, ist das ihr Bruder, Ende 50 und in einer Beziehung zu Nike, einer aus dem Leben gefallenen 20jährigen, die in ihrer Kindheit von der Mutter in einer Kiste ruhiggestellt wurde. Das ist ihre Nachbarin Mimi, Künstlerin, Kraft ausstrahlend und in sich ruhend. Das ist deren Bruder Arild, Schweinebauer, ganz der Gegensatz zur unsicher wirkenden Erzählerin, aber wahrscheinlich deswegen auf sie mit anziehender Wirkung.  In der Vergangenheit in der Stadt ist das Otis, ihr Mann, den sie verlassen hat, an den sie dennoch Briefe schreibt und den sie nicht loslässt, und Ann, die gemeinsame Tochter, die reisend unterwegs und auf Distanz gegangen ist.

 

Erzählt wird über lange Strecken mit vielen Hauptsätzen, der Tonus ist dadurch abgehakt. Die Dialoge sind knackig kurz formuliert und gehen so: Er sagt. Ich sage. Sie sagt. Wenn ich als Leserin Zwischentöne herauslesen soll, ich kann sie nicht hören.

 

Natürlich registriere ich das Abschiednehmen, das Suchende und Tastende in der Situation der Erzählerin, die ambivalente Schwebe, in der sie sich befindet zwischen Vergangenem und ungewissem Neuen und ob dieser Ort mit diesen Menschen einer ist und sein kann, an dem sie bleiben wird. Daheim. 

 

Aber ich konnte sie dabei nicht wirklichen Herzens begleiten. Sie ist mir leider fremd geblieben.


Judith Herrmann wurde 1970 in Berlin geboren. Ihrem Debüt "Sommerhaus, später" (1998) wurde eine außerordentliche Resonanz zuteil. 2003 folgte der Erzählungsband "Nichts als Gespenster". Einzelne dieser Geschichten wurden 2007 für das Kino verfilmt. 2009 erschien "Alice", fünf Erzählungen, die international gefeiert wurden. 2014 veröffentliche Judith Hermann ihren ersten Roman, "Aller Liebe Anfang". 2016 folgten die Erzählungen "Lettipark", die mit dem dänischen Blixen-Preis für Kurzgeschicht3n ausgezeichnet wurden. Für ihr Werk wurde Judith Hermann mit zahlenreichen Preisen geehrt, darunter dem Kleist-Preis und dem Friedrich-Hölderin-Preis. Die Autorin lebt und schreibt in Berlin. (aus der Buchklappe)


Judith Hermann, Daheim, S. Fischer Verlag GmbH, 3. Auflage April 2021, 189 Seiten, ISBN 978 3 10 397035 7

 

Die Ausgabe ist eine Ausleihe aus der Gemeindebücherei Zellingen.

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