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Donna Tartt "Der Distelfink"


Stell dir vor, du bist 13 Jahre. Es ist noch etwas Zeit bis zu einem Gespräch in deiner Schule, du sollst eventuell suspendiert werden. Du hast eigentlich Hunger, die bevorstehende unangenehme Angelegenheit lässt dich jedoch schweigen, und da es schüttet, schleppt dich deine kunstinteressierte Mutter, mit der du allein lebst und die du über alles liebst, in das nahegelegene Museum am Central Park in New York.

  

Stell dir vor, während des Rundgangs – Ihr habt gerade eines der Bilder angeschaut, für das sich deine Mutter begeistert – „Der Distelfink“ - kehrt sie noch einmal um, um einen nochmaligen Blick auf ein anderes von ihr bewundertes Gemälde zu werfen. 

 

Dann gibt es eine Detonation.


An dem Tag hat buchstäblich alles aufgehört. (S. 815)

Donna Tartt "Der Distelfink"
Donna Tartt "Der Distelfink"

Was diese Katastrophe mit Theodore, kurz Theo, in seiner Zeit des Erwachsenenwerdens macht, lässt uns Donna Tartt in über tausend Seiten nachempfinden. Theo erzählt selbst, und deshalb bin ich als Leserin ganz nah dran, um den Versuch zu unternehmen, das Unfassbare seiner Situation zu begreifen.

 

Das von Theo bei dem Vorfall gestohlene Bild „Der Distelfink“ wird für ihn dabei zur paradoxen Verbindung seiner Vergangenheit mit der Zukunft, wird zu einer Stütze, aber auch zum Fluch seines immer mehr aus der Bahn geratenden Lebens.

 

Gedanken über Schicksal und Zufall, über Schuldgefühle und ein Was-wäre-wenn beschreiben nur in Ansätzen, welchen Schatten solch ein Ereignis auf ein einzelnes, noch so junges und suchendes Leben werfen kann und in welche personellen, positiven und vor allem auch negativen, aber auch andere Abhängigkeiten und Einflüsse es sich in seinem weiteren Verlauf geworfen sieht.

 

Donna Tartt schreibt plastisch, anschaulich, im Detail, dennoch nie zu viel und kreativ in der Wortwahl und damit auch der dankende Hinweis an die eindrucksvolle Arbeit der Übersetzer Rainer Schmidt und Kristian Lutze. So war ich immer mittendrin in Theos Wahrnehmen und Erleben in jeglichen vorstellbaren Facetten und Untiefen. Oft hätte ich gerne ins Buch gegriffen und den jungen Mann angesichts seiner Passivität und des Chaos durch- und wachgerüttelt.

 

Donna Tartts „Distelfink“ entfaltete auf mich einen Sog, einen Rausch, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Längen, die solche Schmöker oft haben, kamen erst sehr spät und vergingen, so dass ich mich erstaunlich zügig durch dieses opulente Werk gelesen habe.

  

Daher von mir ganz klar eine große Leseempfehlung!

 

P. S. Der Roman erhielt den Pulitzer-Preis 2014.


Vom Buchrücken: Donna Tartt wurde in Greenwood, Mississippi, geboren. Während ihres Studiums am Bennington College begann sie mit der Arbeit an ihrem ersten Roman "Die geheime Geschichte" und schrieb sich damit unter die wichtigsten zeitgenössischen Autorinnen Amerikas. Ihr neuer Roman "Der Distelfink" belegte gleich Platz 1 der New York Times-Bestsellerliste und begeistert Leser und Kritiker: "Umwerfend! Ein grandioser Roman, der daran erinnert, wie schön es ist, sich voll und ganz in ein Buch zu vertiefen und dafür nächtelang durchzulesen" New York Times


Donna Tartt "Der Distelfink", Ins Deutsche übertragen von Rainer Schmidt und Kristian Lutze, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 1. Auflage 2013, 1022 Seiten, ISBN 978 3 442 31239 9

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