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Siegfried Lenz "Deutschstunde"


Leseanlass

Im Herbst letzten Jahres die beeindruckende Verfilmung dieses bereits 1968 erschienenen Romans von Siegfried Lenz in unserem Ersten Deutschen Fernsehen gesehen. Nun als Ausleihe aus dem elterlichen Bücherschrank endlich die Vorlage gelesen.


Zum Inhalt

Siggi Jepsen sitzt als schwer erziehbarer junger Erwachsener auf einer Elbinsel vor Hamburg in einer Anstalt fest. In der Deutschstunde bringt er zum Aufsatzthema „Freuden der Pflicht“ zunächst nichts aufs Papier. Er muss dabei sofort an seinen Vater denken, der in Rugbüll in Schleswig-Holstein in den 1940ern als nördlichster Polizeiposten Deutschlands tätig war und das Malverbot gegenüber seinem Freund, dem Maler Max Ludwig Nansen, durchsetzen musste. Im Arrest, in der Strafarbeit, erinnert sich Siggi nun rückblickend, schreibend an diese Zeit, welche Rolle er als 10jähriger Heranwachsender dabei spielte und wie ihn diese bis auf diese Gefängnisinsel brachte – 


Mieze-Meinung

Siegfried Lenz "Deutschstunde"
Siegfried Lenz "Deutschstunde"

Wenn dieser Roman Schullektüre ist, dann denke ich, dass diese Geschichte und die Art und Weise, wie sie geschrieben ist, manche/n junge/n Leser oder Leserin erschlägt, ich glaube nicht, dass meine Kinder begeistert gewesen wären, sie lesen zu müssen...  Aber. Ich bin keine Schülerin mehr 😉

 

Die Sprache ist ausschweifend, fast expressionistisch. Lenz schafft opulente Bilder der Wattenmeerlandschaft, ihrer Gerüche, Geräusche, der Stimmungen – ich bin in den Dünen, ich bin beim Torfstechen, im Haus der Jepsens beim Fischessen, ich stehe am Bette der sterbenden Ditte, des Malers Frau. Ich radele mit diesem zornigen, engstirnigen und überpflichtmäßigen Polizeiposten von Rugbüll durch Wind und Wetter zum Atelier und Anwesen seines (eigentlichen) Freundes, des Malers Max Ludwig Nansen, der Züge Emil Noldes trägt.

  

Nein, ich brauche die Filmbilder nicht. Alles bietet Lenz im Detail. 

Wer zwingt uns, endgültige Urteile zu fällen? (S. 169)

Ich sitze diesem Jens Jepsen im Nacken bei seinen perfiden Aktivitäten, und ich hasse ihn für seinen Tunnelblick, seine Besessenheit, seinen ehemaligen Freund in allen Formen zu denunzieren und alles, alles pflichtgemäß zu erledigen, wie in einer Sucht selbst dann noch, als das System, das ihn dazu brachte, geschlagen war. Die Verdrängung jeglicher menschlichen und eigenverantwortlichen Regung (auch bei seiner Frau) zugunsten der Pflichterfüllung – diese Anstrengung, die er in die Überwachung und Tyrannei seiner Kinder trägt. Und dann: dieser junge Siggi Jepsen! Der bei allem dennoch mit ganzer Hingabe die heimatliche Landschaft beschreibt und erinnernd - freilich – beim Maler und bei seinen Bildern ist. Der da in seiner Arrestzelle sitzt und sich freischreibt von seiner Vergangenheit, hat einen Ton an sich, ja manches Mal fast belustigend, wie er die Leserschaft in seine Geschichte holt. Schlau. Hat der Film nicht geschafft zu transportieren.

  

Darum: Große, große Leseempfehlung. Und: Eweng Zeit zur Lektüre nehmen! Hat's bei mir zumindest gebraucht.


Siegfried Lenz, Deutschstunde, Roman, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 28. Auflage Mai 1995, 449 Seiten, ISBN 3 455 04211 2

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