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Betty Smith "Ein Baum wächst in Brooklyn"


Diese Familiengeschichte spielt zwischen 1912 und 1918 in Brooklyn. Die Nolans, das sind Francie, zu Beginn der Geschichte 11, Neeley, 10, mit Mama Katie und Papa Johnny. Das sind aber auch Großmutter Mary und die Schwestern Evy und Sissy Rommely, die Familie mütterlicherseits. 

 

Francie ist die Hauptfigur dieses Romans. Sie entdeckt zunehmend den Zauber des Lesens und der Bücher - Katie liest ihr und dem Bruder täglich jeweils Shakespeare und aus der Bibel vor. Sie erschließt sich zudem die ortsansässige Bibliothek und erahnt so mehr und mehr, dass Lernen und Bildung ihr Möglichkeiten erschließen könnten, dem unerbittlichen und ihr stets anhaftenden Stigma der Armut zu entkommen… Die Mutter hält mit ihren Hausmeistertätigkeiten die Familie über Wasser, der singende und trinkende Vater verdient mehr schlecht als recht mit seinen Gelegenheitsjobs als Kellner ein Zubrot für die Familie.

„Jeder will doch am Leben bleiben. Sehen Sie nur den Baum, der da aus dem Rost wächst. Er kriegt keine Sonne ab und Wasser bloß, wenn’s regnet. Er wächst aus saurer Erde. Und er ist stark, weil sein harter Kampf ums Leben ihn stark macht. Genauso werden auch meine Kinder stark sein.“ (S. 124)

Betty Smith "Ein Baum wächst in Brooklyn"
Betty Smith "Ein Baum wächst in Brooklyn"

Das Los der Geburt bestimmt natürlicherweise Francies und das Leben der Ihren.

 

Und dennoch: So bitter auch oft ihr Heranwachsen ist, das neben der Armut von Einsamkeit, Außenseitertum und früher Verantwortung geprägt ist, so ist es nicht logischerweise nur schlecht: Starke Frauen halten die Nolans und Rommelys zusammen, die fantasiereich die Gelegenheiten und Möglichkeiten nutzen, das Bestmögliche aus allem herauszuholen - und!  Hinter dem nach außen hin scheinbaren Nichtsnutz Johnny verbirgt sich ein geliebter und liebender Mann und fürsorglicher Vater voller Wärme, der die Tochter, wenn es Not tut, auffangen kann und ihr Herz über seinen Tod hinaus fürs Leben stärkt. 

 

Herkunft, Zugang zu Bildung in monetärer Abhängigkeit sind leider heute wie vor hundert Jahren immer noch brennende Themen. Darin eingebettet schenkte mir Betty Smith - in der Übersetzung von Eike Schönfeld - mit „Ein Baum wächst in Brooklyn“  ganz wundervolle, zauberhaft berührende Momente, die sich jedoch mit mancher Leselänge abwechselten und von einem vorhersehbaren Ende abgeschlossen wurden.

 

Dafür gibt es zwar, würde ich sie denn noch vergeben, einen Miezepunkt Abzug, aber zweifellos eine sehr große Leseempfehlung.


Aus der Klappe: Betty Smith, geboren 1896, wuchs als Tochter deutscher Immigranten in armen Verhältnissen in Brooklyn auf. Mit ihrem ersten Ehemann zog sie nach Michigan, wo sie sich zwar nicht in die Universität einschreiben, aber doch an den dortigen Kursen teilnehmen durfte. Ihr erster Roman, Ein Baum wächst in Brooklyn, wurde 1943 sofort zum Erfolg. Betty Smith verfasste weitere Romane und Dramen, viele davon sind hochprämiert. 1972 verstarb sie in Shelton, Connecticut.


Betty Smith, Ein Baum wächst in Brooklyn, Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld, insel taschenbuch Berlin, 2. Auflage 2019, 622 Seiten, ISBN 978 3 458 36380 4

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