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Sonja Weichand "schuld bewusstsein"


Immer weniger der Generation, die den 2. Weltkrieg erlebt haben, können uns live davon berichten, egal, aus welcher Perspektive. Erschreckend, bedrückend, nein, nicht in Worte fassbar, dass gerade dies, was wir zumindest in einem scheinbar aufgeklärten Europa hofften, bald nur noch erzählt zu bekommen, hier nun  (und seit jeher auch weltweit) wieder Menschen erleben. Er ist nah, er ist unter uns, der Krieg. 


In Sonja Weichands Roman „schuld bewusstsein“ recherchiert die Berliner Journalistin Anna, warum ihr Großvater Paul in den Erzählungen der Oma Rose-Marie mit dem Ende des 2. Weltkrieges nicht mehr auftaucht … Zur Großmutter, die seit dem frühen Verlust der Eltern Anna aufgezogen hat, hat sie ein sehr enges Verhältnis, und Rose-Maries Erleben und Erfahrungen im Nazideutschland - als Kind und junge Frau, als BDM-Mitglied und glühende Anhängerin Hitlers - sind ihr im Detail vertraut. So versucht sie, vor Ort in Würzburg – dort wohnte die Verwandtschaft - mehr über das Schicksal ihres Großvaters Paul, über das Rose-Marie sich ausschweigt, herauszufinden…


Sonja Weichand "schuld bewusstsein"
Sonja Weichand "schuld bewusstsein"

Mit zwei Zeitebenen (Gegenwart und den 1940ern) und zweimal der Ich-Perspektive (Anna und Rose-Marie) schafft es die Autorin von Anbeginn, dass ich ganz nah dran an den beiden Hauptfiguren und deren Familien und Umfeld bin... Die zwei Erzählstränge wechseln sich fortlaufend ab und verflechten sich zum Ende hin immer mehr - was verwirrend scheinen mag.

 

Doch gerade die zeitversetzte Parallelität und das Ineinandergreifen der Erlebnisse der Enkelin und ihrer Großmutter machen für den Fortgang der Geschichte und Annas Recherche absoluten Sinn. Mehr will ich dazu gar nicht sagen – nur: Annas Halluzinationen und psychische Labilität lösen sich zum fulminanten Ende überraschend und logisch auf. Sehr geschickt und raffiniert gemacht!

 

Meine Wohnortnähe macht natürlich ganz viel mit meinem Lesen, wenn Sonja Weichand immer eindringlicher die Angriffe auf Würzburg und schließlich die Bombardierung am 16. März 1945 schildert, ich den beschriebenen Weg der Familie speziell in dieser Nacht genau vor mir habe.

 

Ein starkes und nachhallendes Debüt, und ob nun mit oder ohne Ortskenntnis – dieser Roman wird Euch bewegen, zum Erinnern und Nachdenken, zum Aufwachen und zum Zweifeln, denn an die wendet sich Sonja Weichand in ihrer Widmung: an alle, die zweifeln

 

Ich wünsche mir viel, viel größere Beachtung für diesen Roman. Darum: Unbedingt lesen! Gerade jetzt.

 

P. S: Vielen Dank an die Buchhandlung Dreizehneinhalb und an den Cityblog Würzburg für die Bereitstellung des Buches. 


Sonja Weichand, geboren 1984, studierte an der Universität Würzburg Germanistik und Geschichte. Als Regieassistentin und Regisseurin arbeitete sie sechs Jahre lang am Theater Augsburg, Theater Vorpommern sowie in freien Projekten. Als wichtige Station erlebte sie ihre Zeit in Berlin, in der sie sich als Autorin selbstständig machte. In den folgenden Jahren erschienen vier ihrer Theaterstücke im Hofmann-Paul-Verlag und deutschen theater verlag. Heute lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt und arbeitet als Dozentin für Literarisches Schreiben an der Universität Würzburg. Neben Theaterstücken schreibt sie Gedichte, Kurzgeschichten und Satire. "schuld bewusstsein" ist ihr Debütroman.


Sonja Weichand, schuld bewusstsein, 1. Auflage ©Sonja Weichand 2020, Herstellung: BoD - Books on Demand, Norderstedt, 297 Seiten, ISBN 978 3 7504 9895 2

 

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