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Ilya Kaminsky "Republik der Taubheit"


Finde ich Worte, die Ilya Kaminskys „Republik der Taubheit“ gerecht werden? Nein - ich weiß. 

 

Ich will es dennoch vorstellen. Denn dieses Büchlein mit dem sperrig klingenden Titel „Republik der Taubheit“ (im Original: Deaf Republic) hat absolut und tausendprozentig und so was von einer großen Leserschaft verdient… 

Ilya Kaminsky "Republik der Taubheit"
Ilya Kaminsky "Republik der Taubheit"

Dies ist eine Geschichte des Krieges. Dies ist die Geschichte einer Liebe. Die Stadt Vasenka wird bombardiert. Soldaten sind unterwegs. In Vasenka leben Sonya und Alfonso, frisch verheiratet, und Sonya ist schwanger. Schlimme Dinge geschehen. Viele schauen weg. Doch Widerstand regt sich: Taub stellen und Zeichensprache werden seine Mittel. Zentrum der Widerständigen sind die Puppenspielerinnen um Galya Armolinskaya. Momma Galya. Dies ist auch eine Geschichte der Feigheit und eine des Mutes.

 

Die besondere Gestaltung: Es ist eine Art lyrisches Theaterstück. Szenen in Gedichtform, in Versen und in Prosa. Zeile für Zeile - ich fühle mich intensivst in der Sprache gefangen, ich will wieder und wieder darin lesen und innehalten - es berührt, geht tief und schmerzt.

 

Für mich ein großes Erlebnis, meisterlich! LESEN! 

 

P.S. Ilya Kaminsky ist Dichter, Kritiker, Übersetzer und Lyrikprofessor und lebt in den USA, geboren wurde er 1977 in Odessa. Die englische Originalausgabe erschien bereits 2019. 2022 ins Deutsche übersetzt (großartig!) von Anja Kampmann, Romanautorin und Lyrikerin, 1983 in Hamburg geboren. Zeichnungen von Jennifer Whitten.


Daraus, S. 42:

 

ICH, DIESER KÖRPER

 

Ich, dieser Körper, in den Gottes Hand hineinlangt,

mit leerer Brust, stehe,

 

Auf der Beerdigung -

Momma Galya und ihre Puppenspielerinnen erheben sich, um mir die

Hand zu schütteln.

 

Ich wickel unser Kind in ein grünes Taschentuch,

kleines Geschenk.

 

Du bist gegangen, meine türknallende Frau, und ich,

ein Narr, lebe.

 

Doch die Stimme, die ich nicht höre, wenn ich mit mir selbst spreche, 

ist die klarste Stimme:

als meine Frau mir die Haare wusch, als ich sie küsste

 

zwischen ihre Zehen -

in den leeren Straßen unseres Viertels rief ein schwacher Wind

 

nach dem Leben.

Frau entrissen, das Kind

 

keine drei Tage aus dem Bauch, in meinen Armen, unsere Wohnung

leer, auf dem Boden

 

der dreckige Schnee ihrer Stiefel.

 


Ilya Kaminsky, Republik der Taubheit, Aus dem Englischen von Anja Kampmann, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, 1. Auflage München 2022, 99 Seiten, ISBN 978 3 446 27273 6

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