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Paolo Giordano "Die Einsamkeit der Primzahlen"


Der sehr strukturiert aufgebaute Roman von Paolo Giordano „Die Einsamkeit der Primzahlen“ erzählt lange Zeit parallel zwei Geschichten: die von Mattia und Alice. 


Eins: Mattia.

Die kognitiv schwache Zwillingsschwester. Eine Unbedachtheit als Sechsjähriger, nach der die Schwester spurlos verschwindet. Selbstverletzungen. Die mathematische Hochbegabung zusammenfallend mit einer sich mehr und mehr steigernden sozialen Phobie. 

Eins: Alice.

Skitraining, das sie nicht will. Ein Vater, den das nicht interessiert. Kontrollverlust über die Blase. Ein Skiunfall als Kind, von dem eine Gehbehinderung bleibt. Dann wenigstens Kontrolle über den eigenen Körper bis hin zur Magersucht.


Eins und Eins. Mattia und Alice.

Paolo Giordano "Die Einsamkeit der Primzahlen"
Paolo Giordano "Die Einsamkeit der Primzahlen"

Zwei Erzählstränge, die sich dann wie selbstverständlich verknoten. Zwei, die wie geschaffen füreinander scheinen. Zwei, die sich verstehen müssen, da ähnliche Erfahrungen. Zwei, die Überforderung und Druck ausgesetzt waren. Zwei, denen die Empathie der Eltern und die angemessene Reaktion der Umwelt fehlten. Außenseiter, Einzelgänger, Sonderlinge. Gesucht und gefunden.

 

Eins und eins. Ist nicht gleich Zwei. Der eine meidet die Welt. Die andere fühlt sich von ihr gemieden. Mit seinem mathematischen Blick auf die Welt kann sich Mattia diese nicht errechnen und ohne Vertrauen in andere haben sich für Mattia und Alice die Basics an sozialen Verhaltensweisen nicht erschlossen. Sich zwar finden, aber auch deshalb miteinander scheitern. Einsam bleiben wie zwei Primzahlen. Eins und eins ergibt eben nicht logischerweise Zwei.

 

Auch wenn das Aber folgt, bleibt es eine Geschichte, die ich sehr empfehle und deren Welterfolg ich nur zu gut verstehe - bis in das zweite Drittel hinein habe ich sie regelrecht inhaliert. Trotz größtem Verständnis für Mattia und Alice, mit denen ich mitgelitten habe, bin ich zu ihnen auf seltsame Distanz geblieben.

 

Was die große Stärke dieses Romans ist, nämlich diese zwei besonderen Menschen in den Fokus zu stellen, empfinde ich gleichzeitig als dessen größte Schwäche. Giordano legt sehr ausführlich die Beweggründe dar - warum Mattia und Alice so sind, wie sie sind, und warum es ihnen misslingt, sich so gar nicht auch aus sich selbst heraus zu befreien. Konzentriert auf diese Zwei baut er seine Geschichte auf.

 

Wenig bis gar nicht sind allerdings die Perspektiven beider Eltern oder auch des Ehemannes von Alice, Fabio, transparent, wieso diese passiv dem offensichtlichen jeweiligen Dilemma der beiden gegenüberstehen. So mangelte es mir letztendlich an überraschenden Momenten und Wendungen, so dass die Geschichte ab einem gewissen Punkt vorhersehbar wurde. 


Paolo Giordano wurde 1982 in Turin geboren, wo er auch Physik studierte und lehrte. Nach einigen Kurzgeschichten und Auftritten auf Literaturfestivals feierte er mit Die Einsamkeit der Primzahlen einen sensationellen Erfolg. Giordano bekam für sein Buch den wichtigsten Literaturpreis Italiens, den Premio Strega - als jüngster Preisträger in der 60-jährigen Geschichte dieser Auszeichnung. Sein Roman wurde in 26 Länder verkauft und führte monatelang die Bestsellerlisten an.


Paolo Giordano, Die Einsamkeit der Primzahlen, aus dem Italienischen von Bruno Genzler, Wilhelm Heyne Verlag, 11. Auflage München 2011, 364 Seiten, ISBN 978 3 453 40801 2

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