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Alina Bronsky "Baba Dunjas letzte Liebe"


Baba Dunja ist die Erste, die „nach dem Reaktor“ wieder in die Todeszone in ihr Dorf Tschernowo zurückgekehrt ist. Dort lebt sie mit denen, die ihr nachgefolgt sind, mit Petrow, Marja, Sorodojew, den Gawrilows, Lenotschka … Sie leben ein einfaches, ruhiges, gelassenes, stiller als stilles Leben im Einklang mit der Natur. Baba Dunja sieht die Geister der toten Menschen und Tiere von Tschernowo und der Geist ihres Mannes Jegor spricht sogar mit ihr. Nur ab und zu muss sie nach Marischyl, um das einzukaufen, was sie selbst nicht anbauen kann und um die Post von Tochter Irina und Enkelin Laura aus Deutschland abzuholen. 

Alina Bronsky "Baba Dunjas letzte Liebe"
Alina Bronsky "Baba Dunjas letzte Liebe"

Eine paradoxe Idylle, in der Zeit, Termine und Fristen nicht vorkommen, in der die wenigen Bewohner leben, als wäre nichts passiert oder sie leben gerade deswegen so, weil es passiert ist. Alina Bronsky gelingt es vortrefflich, diese Zeitlosigkeit über die klare, dabei überaus poetische Erzähl- und Sichtweise ihrer weit über 80jährigen Hauptprotagonistin Baba Dunja einzufangen - der erste Abschnitt des Romans stellt eine starke und offensichtlich in sich ruhende Frau vor. Ich bin ganz verzaubert und verliebt in Baba Dunja und fühle mich seltsam erleichtert und aufgehoben in der Welt dieser Frau und dieses Dorfes.

 

Ich hadere dann aber arg mit der etwas künstlich angelegt wirkenden Wendung, die die Geschichte nimmt, als zwei Neue ins Dorf ziehen und eine unerhörte Begebenheit auslösen... Die entstehende Verwirbelung bringt skurrile Szenen zutage, die ich wiederum sehr mag, nur dadurch möglich sind und einen unausgesprochenen, aber fest an Baba Dunja geknüpften Zusammenhalt der Bewohner aufzeigen.

 

Baba Dunja ist eine Frau, die, auch wenn die Welt wieder über sie und Tschernowo einfällt, bereit ist, für ihre letzte Liebe, ihr Land, ihr Dorf, ihr Zuhause zu kämpfen. Eine Welt, die Baba Dunjas braucht. Eine Baba Dunja aber, die gern auf die Welt verzichtet.

 

Heraus kommt daher eine große Herzensempfehlung für Alina Bronskys Roman, dem ich sicher wie angedeutet ein Pünktchen abziehen müsste, auch wegen des einen oder anderen sprachlichen Schnitzers. In der Gesamtheit überzeugt er aber absolut mit einer Vielzahl besonderer, nah erfahrbarer Figuren und mit Lebensweisheiten, die jede/r auf seine Art herausziehen kann. 


Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg/Russland, lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland. Ihr Debütroman "Scherbenpark" wurde zum Bestseller, ist inzwischen beliebte Lektüre im Deutschunterricht und wurde fürs Kino verfilmt. Es folgten die Romane "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche" und "Nenn mich einfach Superheld". Die Rechte an Alina Bronskys Romanen wurden in 15 Länder verkauft. Sie lebt in Berlin.


Alina Bronsky, Baba Dunjas letzte Liebe, Kiepenheuer & Witsch, 3. Auflage, Köln 2015, 154 Seiten, ISBN 978 3 462 04802 5

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