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Tobias Sommer "Das gekaufte Leben"


Oder: Mein Grundstück. Mein See. Mein Boot. Mein Haus. Mein Auto.

Für Clemens Freitag, im bisherigen Leben eher auf der erfolglosen Seite, erfüllt sich der Traum vom Glück mit einem Klick. Er ersteigert sich das komplette Leben von Götz Dammwald nicht nur materiell mit einem modernen All-inclusive-Haus samt Gästebungalow, Seegrundstück, Boot und Auto, sondern auch sozial: eine sichere, zufriedenstellende Arbeitsstelle mit einem kulanten Chef und netten Kolleg*innen, er wird wie Dammwald Vorsitzender des Angelvereins einschließlich Stammtischrunde in der Dorfkneipe, auch die Nachbarn und Freunde des Vorgängers nehmen ihn wohlwollend auf. Freitag will es schaffen, dieses Mal. Unbedingt.


Tobias Sommer "Das gekaufte Leben"
Tobias Sommer "Das gekaufte Leben"

Tobias Sommers Roman hat den Bämm gleich zu Beginn: die Onlineersteigerung des anderen Lebens und der anschließende Einzug Freitags - das macht ganz viel mit mir als Leserin, in die eine wie in die andere Richtung: Wer hatte nicht schon mal Gedanken an ein anderes, ganz anderes Leben als das eigene, einfach weg, irgendwohin und neu beginnen? Das Setting, in das Sommer mich dazu versetzt, könnte idyllischer nicht sein: ein Haus am See auf dem mecklenburgischen Land - da muss das Leben doch gelingen. 

 

Raffiniert auch, dass die Gegensätze nicht größer sein könnten: Der, der sein Leben bisher verbummelt hat, zieht in ein Leben ein, das scheinbar perfekter („Was für ein Spießer“ S. 17) nicht hätte laufen können. Irgendwie stimmt bei dem rundum beliebten Götz Dammwald alles - das schürt natürlich von vornherein das Misstrauen: Warum gibt er das alles auf?

 

Nach dem fesselnden Einstieg zieht sich für mich allerdings die Handlung leider und wiederholt etwas hin, die Nebenschauplätze beispielsweise am Arbeitsplatz finde ich weniger überzeugend gestaltet. Stimmungsvoll mysteriös und spannend wird der Plot immer, wenn Freitag zum See und zum Haus zurückkehrt, wo die Verschiedenheit beider Leben und die Beklemmung am deutlichsten werden. Er trägt die Kleider Dammwalds, stöbert in dessen Privatsachen, Fotos, Videos…, und hier ist es auch, wo sich die Zeichen und Indizien mehren, dass da irgendwas nicht hinhaut. Vielleicht wäre ich Freitag nähergekommen, hätte ich mich intensiver mit seinem Vorleben in Rückblicken beschäftigen dürfen. Sommers Fokus liegt allerdings auf der Klärung des Rätsels um Dammwalds Verschwinden.

  

Diese Geschichte in Thriller-Manier liest sich angenehm flockig, ist unterhaltsam und hat mich raschen Schrittes zum Ende geführt. Ich empfehle sie daher gerne weiter. 


Tobias Sommer, 1978 in Schleswig-Holstein geboren, lebt mit seiner Partnerin und zwei Kindern in Bad Segeberg. Er hat bisher Lyrik und Prosa veröffentlicht, den Hamburger Literaturförderpreis erhalten und war 2014 für den Bachmann-Preis nominiert.


Tobias Sommer, Das gekaufte Leben, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München 2022, 335 Seiten, ISBN 978 3 423 28997 9

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