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Lina Nordquist "Mein Herz ist eine Krähe"


„Wer wir sind, können wir uns nicht aussuchen.“ (S. 111)

Wuchtig, dicht, intensiv, düster und schwermütig – das ist Lina Nordquists Roman „Mein Herz ist eine Krähe“… Worin begründen sich meine Eindrücke? 

 

Enge Bandagen knüpfen in Hälsingland, wo das Debüt der schwedischen Autorin spielt, die Natur, das Wetter und der Wald, sie geben den Lebensrhythmus und die zum Großteil rauen Lebensumstände den Figuren vor. Hier in dieser Waldkate erlebe ich wechselweise zwei verbundene Frauengeschichten: Die von Unni erzählte spielt um die Jahrhundertwende, ca. 1900, jene von Kåra – sie ist die Schwiegertochter von Unnis Sohn Roar - in den 1970ern. Gemein ist ihnen, dass beide Frauen in Außenseiterrollen gedrängt werden - ausgegrenzt stehen beide kurz vor der Einweisung in die „Irrenanstalt“ und versuchen, sich auf ihre Art durchzuschlagen oder anzupassen. In beiden Frauenwelten geht es um die Macht und die Dominanz der Männer und die positive wie negative und gewaltvolle Abhängigkeit der Frauen von ihnen. Beide Frauenleben sind ein Kampf. Geht es bei Unni um das rein Existentielle, um das schiere Überleben für sich und ihre Kinder, wodurch sie meist in Aktionismus geworfen wird, so sind es bei Kåra die eigenen inneren und angeheirateten Dämonen, die sie in eine lethargische und passiv-mörderische Position gleiten lassen. 

Lina Nordquist "Mein Herz ist eine Krähe"
Lina Nordquist "Mein Herz ist eine Krähe"

Lina Nordquist stattet ihren Roman mit einer durchgängig kraftvollen Sprache aus - überaus gelungen übersetzt von Stefan Plaschka. Satte, mich immer wieder zum Staunen bringende Bilder schaffen eine Atmosphäre, der ich mich zu keiner Zeit meiner Lektüre entziehen kann. Besonders nah zieht die Autorin mich an Unni heran, insbesondere als Nordquist sie den Tod ihres Mannes Armod und die Geburt ihres dritten Kindes Brita erleben lässt. Die Figur Kåras ist mir bis zum Schluss unangenehm rätselhaft und nicht greifbar geblieben. 

 

Grundsätzlich lässt meine Verbindung mit dem Roman im zweiten Teil etwas nach, was ich zum einen in der Aneinanderreihung für meinen Lesegeschmack zu vieler Dramen begründet sehe und zum anderen, dass ich ab einem gewissen Punkt ahnte, worauf das Ende hinauslaufen könnte. Trotz der Kritikpunkte und vor allem wegen der erzählerischen Kraft gebe ich „Mein Herz ist eine Krähe“ eine von Herzen kommende große Leseempfehlung. 

 

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar!


Lina Nordquist, geboren 1977 in Norrala, ist Schriftstellerin, außerordentliche Professorin für Physiologie, Diabetesforscherin und Politikerin. Seit 2018 ist sie Mitglied des schwedischen Parlaments. Sie wuchs in Hälsingland auf und lebt derzeit mit ihr Familie in Uppsala. Ihr Debütroman Mein Herz ist eine Krähe wurde als Buch des Jahres in Schweden ausgezeichnet.


Lina Nordquist, Mein Herz ist eine Krähe, Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat, Diogenes Verlag AG, Zürich 2023, 454 Seiten, ISBN 978 3 257 07261 7

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