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Brigitte Reimann "Katja"


Die Aufbauverlage und Carsten Gansel veröffentlichten im Februar d. J. eine Sammlung eher unbekannter, früher Erzählungen Brigitte Reimanns. Im Nachwort beschwört Gansel gleich zu Beginn das eigentliche No-Go, unveröffentlichte frühe Werke von Autor*innen herauszugeben, all jene, die befragt wurden, sprächen sich dagegen aus. Und er ist sich sicher, auch Reimann hätte sich dagegen entschieden, wie so viele, die ihr früh Geschriebenes kritisch betrachten. 

 

Und doch. Welch ein Schatz sind diese zumeist unbekannten Erzählungen, die Reimann 15- bis 28jährig schrieb. Wie auch sonst in Reimanns Werk steht die Frau im Mittelpunkt. Das junge Mädchen mit einer ungewollten Schwangerschaft (1952, Die Reifeprüfung). Die Frauen, die für Mann und Familie (beruflich) zurückstecken (1961, Bei der halben Nacht). Die Frau, die nicht der Liebe, der Heirat wegen ihr Studium abbrechen will (1953, Katja). Frau und Mann, die ihre Gegensätzlichkeit in Klasse und Bildung nicht überwinden können (1955, Zwei schreiben eine Geschichte). Die Frau, die gegen jede Vernunft einen Juden liebt (1956, Ein Stern fällt aus der Nacht) u.a.


„Immer sind wir allein, und in den innersten Bezirk dringt kein Mensch, kein Trost, nicht Liebe noch Hass.“ (S. 104)

Brigitte Reimann "Katja"
Brigitte Reimann "Katja"

In allen spüre ich der Autorin und der Frauen natürlich-selbstverständlichen und unbändigen - aber so oft unerfüllten - Drang nach Freiheit, nach Gleichberechtigung, nach beruflicher Verwirklichung und Anerkennung und natürlich immer wieder: nach Liebe und Leidenschaft.

 

„Ich werde in dieser Nacht allein sein“ (1956): Für mich ragt diese Erzählung um ein Künstlertrio tatsächlich etwas über die anderen heraus. Eine Dreisamkeit, von der Maria, die Frau darin, selbst erzählt, und in der schließlich jede/r für sich allein bleibt. Augenblicke, wie ich sie aus „Die Geschwister“ oder „Franziska Linkerhand“ kenne - voller Poesie und Wucht und Bedeutungsschwere und in der es Reimann mit einer Reminiszenz an Rilke auf den Punkt bringt: „Wir drehen uns im Kreise, ein Tanz von Zweifeln um jene Mitte, die unsere Liebe heißt… (S. 119)

 

Was hätte uns Brigitte Reimann (1933-1973) literarisch noch geschenkt, wäre sie nicht schon mit 39 Jahren ihrem Krebsleiden erlegen? Ich weiß, wir wissen es nicht. Aber das, was sie hinterlassen hat, ist groß. „Katja“ ergänzt und fügt sich in ihr schmales, aber so starkes Gesamtwerk.

 

Vielen Dank an die Aufbau Verlage für das Rezensionsexemplar. [Beauftragte, unbezahlte Werbung.]


Brigitte Reimann, geboren 1933 in Burg bei Magdeburg, war seit 1955 freie Autorin. Ihr Roman "Die Geschwister" (1963) über die gerade vollzogene deutsche Teilung avancierte zu einem der meistdiskutierten Bücher jener Zeit. Mit nur 39 Jahren starb die Autorin an den Folgen ihrer Krebserkrankung in Berlin. Ihre postum erschienenen Tagebücher "Ich bedaure nichts. Mein Weg zur Schriftstellerin" (Neuausgabe 2023) erregten großes Aufsehen. Ihr letztes Werk, "Franziska Linkerhand" (ungekürzte Neuausgabe 1998), gilt als einer der bedeutendsten Romane der deutschen Nachkriegsliteratur.

 

Carsten Gansel, geboren 1955 in Güstrow/Mecklenburg ist Professor für Neuere deutsche Literatur. Seine Brigitte-Reimann-Biographie "Ich bin so gierig nach Leben" (2023) stand wochenlang auf der Spiegel-Bestsellerliste.


Brigitte Reimann, Katja, Erzählungen über Frauen, Herausgegeben von Carsten Gansel, Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, 1. Auflage Berlin 2024, 235 Seiten, ISBN 978 3 351 03989 9

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