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Jürgen Bauer "Styx"


Madame Partitur. Ich mag Sie. Obwohl –

 

Sie haben sich ganz schön lange versteckt. In Ihrem Souffleurkasten. Hinter Ihren Opernkolleg*innen. Hinter Ihrem Mann, vor allem. Deshalb habe ich mich lange gefragt: Wer sind Sie? Wo finde ich Sie in Ihrer Geschichte? 

 

„Es braucht einen Bruch.“, sagen Sie (S. 7). Ja. Sie verweigern der Sopranistin während einer Aufführung die Hilfestellung. 


Jürgen Bauer "Styx"
Jürgen Bauer "Styx"

 Aber so einfach ist das natürlich nicht, mit dem Brechen. Ihr verstorbener Mann, Opernregisseur, hat einiges hinterlassen – einen Ruf mit gewaltigen Inszenierungen, Videos mit unzähligen Mininachbauten seiner Opern und dann: diese Hütte, den Teich und den Garten auf dem Land, sein Herzstück! Das alles überfordert Sie. Liebe, Verbundenheit, Abhängigkeit … Sie stecken tief in der Trauer. „… vielleicht sitzt der Tod zu fest in mir.“, sagen Sie sogar (S. 136). Kann Ihnen der Gärtner helfen, der scheinbar so unvermittelt auftaucht? Der den Garten wieder zum Grünen und Blühen bringt und auch Sie nicht unberührt lässt? Oder Hans Styx, der Hund? Die Intendantin? Deren Direktheit Ihnen guttut und deren Ideen Sie gerade jetzt in der Pandemie schätzen, die Sie davon abhalten will, mit dem Opernhaus zu brechen und Sie sogar aus Ihrem Kasten herauslocken will?

 

Wer sind Sie? Das Loslassen gelingt nicht leicht. Erinnerungen platzen – vernarbt geglaubte Wunden öffnen sich und geben Vergangenes, Verdrängtes frei, das sich mit Gegenwärtigem mischt…

 

Madame Partitur.

Sie sind aufgebrochen.

Ich kann Sie sehen.

Mir gefällt, was ich sehe.

 

Und übrigens, Madame Partitur: Einer der berührendsten Momente war Ihr Gespräch mit der KI-Persönlichkeit Ihres verstorbenen Mannes.

  

Nachtrag für alle:  Eindeutige fünf von fünf Miezen. Mehr geht nicht. 

 

Vielen Dank für die Bereitstellung des Leseexemplars. 

Verweisen möchte ich hier auch auf meine Rezension zu Jürgen Bauers "Portrait".


Jürgen Bauer, geboren 1981, lebt in Wien. Seine journalistischen Texte erscheinen in internationalen Zeitungen und Zeitschriften. Seit 2013 veröffentlichte er im Septime Verlag insgesamt vier Romane. Mit seinem dritten Roman, Ein guter Mensch, schaffte er den Sprung über die österreichischen Grenzen und wurde im gesamten deutschsprachigen Raum rezipiert. Der Roman erzählt von einer Welt, in der die Ressource Wasser knapp wird, und wurde von der Kritik als "großartige, fesselnde Social-Fiction" bezeichnet. Mit Portrait, erschienen 2020, gelang der erste Bestseller eines österreichischen Autors im Septime Verlag.


Jürgen Bauer, Styx, Septime Verlag, Wien 2024, 191 Seiten, ISBN 978 3 99120 033 8

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