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Andrea Sawatzki "Brunnenstraße"


Die sehr bekannte und von mir gern gesehene Schauspielerin Andrea Sawatzki schreibt auch – das war mir bis zur Lektüre von „Brunnenstraße“ nicht bewusst. Auch wenn das Buch als Roman gekennzeichnet ist, lese ich hier eine sehr, sehr persönliche, also autobiografische Erzählung. Sie ist eine Annäherung Sawatzkis an ihre eigene Kindheit.


Worum geht es?

Andrea Sawatzki "Brunnenstraße"
Andrea Sawatzki "Brunnenstraße"

Es sind die 1960/70er Jahre. Die Mutter hat eine Beziehung mit dem verheirateten Journalisten Günther Sawatzki und: eine gemeinsame Tochter, Andrea. Als Sawatzkis Frau stirbt, holt er Geliebte und die achtjährige Tochter zu sich. Da ist endlich die Hoffnung auf eine „intakte“ Familie, auch wenn der Vater ihr fremd bleibt, sie eifersüchtig auf das wieder erlangte Elternglück ist und sie die Zweisamkeit mit der Mutter vermisst. 

 

Wenig später wird die Demenz des Vaters immer offensichtlicher. Stimmungsschwankungen verbunden mit Unberechenbarkeit, Unruhe, nächtliches Aufstehen und Weglaufen, Verlust der Selbständigkeit, Kontrollverlust über die Körperfunktionen – sie leben nun mit einem ganz anderen Menschen zusammen, als die Mutter mit dem weltgewandten und beredten Journalisten kennengelernt hatte. Und: die Mutter geht – um die Familie finanziell über die Runden zu bekommen - als Nachtschwester arbeiten, so dass am Abend und des Nachts das Kind Andrea „die Aufsicht“ über den dementen Vater hat …


Mieze-Meinung

In einer klaren und schnörkellosen Sprache versucht Andrea Sawatzki einen Zugang zu finden zu dem, was ihr da als Kind aufgebürdet wurde – vielleicht auch gar nicht anders möglich. Nie ist da ein Wort des Angriffs gegen ihre Mutter zu finden, die es – in der damaligen Zeit – sicher auch nicht besser gewusst hat, als das „Problem“ in den eigenen vier Wänden zu verschweigen, zu verstecken und die zunehmende Vereinsamung des Mutter-Tochter-Gespanns hinzunehmen und zu ertragen – bis zum bitteren Ende.

 

Dass das Kind diese immense Überforderung mit Gefühlen wie Hass und zum Teil gewaltsamen Aktionen gegenüber dem Vater ausgleicht, zu dem sie auch vorher nie die Gelegenheit hatte, eine tragfähige Beziehung aufzubauen – es wundert in keinster Weise.

 

Mittlerweile ist das Krankheitsbild bekannter und bewusster in der Öffentlichkeit angekommen, der Umgang mit den Erkrankten offener, aber immer noch ungewohnt und mit Abgrenzung verbunden  – die mit Demenz einhergehenden Veränderungen an dem geliebten Menschen bleiben schwer fassbar und zu akzeptieren – wer in seinem Umfeld schon einmal damit in Berührung gekommen ist, kann das nachspüren - als Erwachsener.

 

Was das mit einem Kind macht – Andrea Sawatzki hat es aufgeschrieben.

 

Eindringlich und gerade in der Nüchternheit berührend.


Aus der Klappe: Andrea Sawatzki, Schauspielerin und Autorin, lebt zusammen mit ihrem Mann Christian Berkel in Berlin. Sie haben zwei gemeinsame Söhne. Mit "Brunnenstraße" legt sie ihr persönlichstes Buch vor.

 

Nachsatz: hier meine Meinung zu Christian Berkels  "Der Apfelbaum".


Andrea Sawatzki, Brunnenstraße, Roman, Piper Verlag GmbH, 2. Auflage, München 2022, 168 Seiten, ISBN 978 3 492 07053 9

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