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Birgit Birnbacher "Wovon wir leben"


Birgit Birnbacher hat in ihrem Roman „Wovon wir leben“ eine mir zutiefst sympathische Hauptfigur herausgearbeitet, obwohl oder gerade, weil ihr Leben sich im Krisenmodus befindet und sie sich selbst auf sprichwörtlich „verlorenem Posten“ fühlt.

 

Julia Noch, 37, ist nämlich in ihrem Job als Krankenschwester ein eklatanter Fehler unterlaufen – sie hat eine Patientin verwechselt und ein Medikament verabreicht, auf das diese allergisch ist. Zudem kränkelt Julia selbst schon länger – Gründe, dass sie entlassen wird und damit auch die Firmenwohnung verliert. Arbeits- und wohnungslos wird sie von der Stadt zurückgeworfen in ihr Heimatdorf im österreichischen Innergebirg…

  

Hier in Hofmark muss sie sich neu verorten, nicht nur in beruflicher, sondern auch in gesundheitlicher, familiärer und persönlicher, sprich: in nahezu jeglicher Hinsicht. Wie sehr allerdings die Arbeit ihren und aller Lebensrhythmus bestimmt, wird in der Auseinandersetzung mit den Dingen und Menschen klar, zu denen sie mit dem beruflich motivierten Weggang auf Abstand gehen wollte und/oder denen sie hier neu begegnet. Der Vater ist in Rente und die Mutter nach Italien geflüchtet, der regionale Hauptarbeitgeber schließt und lässt die Dorfbewohner nun schon tags im Wirtshaus versumpfen und wie zum Hohn ist der neue Bekannte Oskar zwar wie Julia arbeitslos, aber weil er das Grundeinkommen gewonnen hat…

Birgit Birnbacher "Wovon wir leben"
Birgit Birnbacher "Wovon wir leben"

Julia zweifelt, hadert und ist zerrissen zwischen Gebundensein und Loslassen, zwischen Erwartungsdruck an sie als Frau und Tochter und dem Wunsch nach freier Selbstbestimmung.

 

Birnbachers klare und schnörkellose Sprache, die mich auch immer wieder gerade in der Trostlosigkeit mit Poesie einzufangen weiß, stellt genau diese Ambivalenz dar. Mit Stellen, die frei und leer scheinen und zwischen Schwermut und Leichtigkeit, Ernsthaftigkeit und Heiterkeit, zwischen Entscheidungsfreude und Zögern pendeln.

 

Ein Buch, eine Geschichte, das und die mich mit all der Bandbreite an Lebensgefühlen genau getroffen und abgeholt hat.

  

Große Leseempfehlung.


Birgit Birnbacher, geboren 1985, lebt als Schriftstellerin in Salzburg. Ihr Debütroman Wir ohne Wal (2016) wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto Stiftung ausgezeichnet, 2019 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2020 erschien bei Zsolnay der Roman Ich an meiner Seite.

 

Buchbesprechung zu "Ich an meiner Seite" hier.


Birgit Birnbacher, Wovon wir leben, Paul Zsolnay Verlag, 1. Auflage, Wien 2023, 189 Seiten, ISBN 978 3 552 07335 7

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Kommentare: 1
  • #1

    Kerstin (Montag, 11 Dezember 2023 11:00)

    Liebe Jana, das trifft mich jetzt auch sehr passend, das werde ich lesen. Dir und deinen Lieben ein wunderbares Weihnachten und ganz liebe Grüße aus Berlin ��️�